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Samstag, 6. Juli 2013
Playlist and Mods Klanghorizonte vom 6.7.2013
Mod 1 - heute mit Michael Enngelbrecht, hallo. . Etwas Archaisches mit modernen Mitteln zum Klingen bringen, darauf versteht sich die Sängerin Meredith Monk. Oft sind ihre Werke themenbezogen, erkunden Wüstenlandschaften, arktische Regionen, die Räume von Stonehenge, oder das Leben in einem mittelalterlichen Dorf.
Raum und Zeit sind durchlässige Grössen - mit ihren avantgardstischen Vokaltechniken streift sie immer wieder, oft unbewusst, Gesangsrituale, die seit Jahrhunderten, bei den Pygmäen, in Tuva oder anderen entlegenen Orten, zur Alltagskultur zählen, oder auch schamanistischen Praktiken. Gesang als Anrufung und Beschwörung.
Das Fremde behält dabei seine Fremdartigkeit bei, wird nicht mit billigen Exotismen aufgebrezelt. Und so ist das folgende Stück, mit dem mininalistischen Pianospiel Monks, und der pointierten Perkussion des einstigen Oregon-Pwrkussionisten Colin Walcott, TRAVELLING, aus ihrem Album DOLMEN MUSIC, der bestmögliche Einstieg in eine Stunde, in der traumartigen Landschaften und abgeschiedene ferne Orte eine besondere Rolle spielen.


1) Meredith Monk: Travelling, aus DOLMEN MUSIC, cd 02, 6'15

Mod 2 - Meredith Monk und Musik aus ihrem 1981 erschienenen Album DOLMEN MUSIC. Wie diese im Titel angeführten Dolmen, verweist auch die vom Sänger John Potter ins Leben gerufene Band THE DOWLAND PROJECT auf eine alte Zeit in Brittanien, als die Kompositionen John Dowlands zu den melancholischsten Klängen der Erde zählten.
Das DOWLAND PROJECT widmet sich den vielen Möglichkeiten, wie man die Gesänge fahrender Musiker, der Troubadoure, Sakrales und Weltliches, in die Gegenwart transportieren kann. Zur Gruppe zählen neben Spezialisten für uraltes Klanggut eben auch Jazzmusiker wie Barry Guy, Kontrabass, und John Surman, Saxofone und Klarinetten.
Es gibt eine interessante Tradition in der Geschichte dieser Gruppe: nach einem Tag des Quellenstudiums und sorgfältig in Szene gesetzter Aufnahmen, nach dem Abendessen, ermutigt sie der Produzent Manfred Eicher des öfteren, noch einmal die Räume der Propstei St. Gerold aufzusuchen, und ohne ausgefeilte Konzepte einfach den eigenen Ideen freien Lauf zu lassen. Was nun, auf der CD NIGHT SESSIONS, dokumentiert wird. FUMEUX FUME ...


2) The Dowland Project / John Potter: Fumeux fume, aus NIGHT SESSIONS, cd 10, 3'23

Mod 3 - Das Lied FUMEUX FUME aus den NIGHT SESSIONS des Dowland Projects ist für den Sänger John Potter ein besonders rätselhaftes Werk. Es stammt von einem Avantgardisten des 14. Jahrhunderts, Solage, über den fast nichts bekannt sei, schreibt John Potter im Begleittext, aussser das 12 seiner Stücke im berühmten Chantilly Codex versammelt sind. Der Titel Fumeux Fume lässt an Rauchwaren denken, Tabak wude aber erst 200 Jahre später bekannt. Womöglich sind Haschisch oder Opium gemeint. Der Text ist ähnlich kryptisch wie die Lyrik des neuen Albums von These New Puritans.
Field Of Reeds. Der Titel des Albums ist mit Bedacht gewählt. Fields, Felder, deuten auf kultiviertes Land, und Reeds auf neblige, sumpfige, matschige, schlickreiche Zonen zwischen Land und Wasser, Schilfrohrgebiete.
Und solche Erkundungen ungesicherter Grenzgebiete der heimatlichen Scholle betreiben These New Puritans tatsächlich. Der Sänger selbst wird zum Übermittler umgesicherter Wirklichkeiten, er murmelt, verstummt, und die Musik, fast unklassifizierbar, entzieht sich gleichfalls dem raschen Zugriff. Bei Genrefragen gerät man hier genauso ins Grübeln wie beim Dowland Project. SPIRAL...


3) These New Puritans: Spiral, aus FIELD OF REEDS, cd 05, 6'01

Mod 4 - SPIRAL, aus der faszinierenden CD FIELD OF REEDS, von These New Puritans. Ähnlich wie Brian Enos Discreet Music, oder der Minimal-Techno von Wolfgang Voigts Gas-Projekt, oder japanische Shakuhachimusik: es ist spannend, wie minimale Mittel oft zu einem maximalen klanglichen oder emotionalen Resultat führen können. Der Komponist Luc Ferrari hat solches mit PRESQUE RIEN NO. 1 geschafft. Anno 1970.
Gut zwanzig Minuten lang verfolgt der Hörer hier das Geschehen am Strand einer damals jugoslawischen Insel, Grillen, Motorboote: die sowieso sogenannte Realität nicht einfach angebildet, obgleich Luc Ferrari über die modernsten Mikrofone seiner Zeit verfügte, die auch in die Tiefe gehen und selbst nah am Horizont die fernsten Sounds einzufangen scheinen.
Aber es kommen Einbildungen ins Spiel. "Audio verite" wird zur Halluzinationsübung. Ferrari bearbeitet und schneidet die Aufzeichnungen, folgt dabei dem eigenen poetischen Empfinden, keiner linearen Geschichte. Subtil entlarvt er dabei, wie sich unsere Wahrnehmung in die Irre führen lässt. Diese grossartige Natur- und Geräuschmusik hat Spuren hinzerlassen bei vielen Musikern von Thomas Köner bis Stephan Mathieu.
Und, ja, Geräusche haben in die Popmusik damals Einzug gehalten, nicht zuletzt durch die Pionierarbeiten von John Cage oder Luc Ferrari. Sie kennen wahrscheinlich das berühmteste Spiegeleierbrutscheln der Popgeschichte: Alans Psychedelic Breakfast, von Pink Floyd. Hätte es das gegeben ohne Luc Ferraris Presque Rien, fragen Sie mal den Produzenten Alan Parsons.
Luc Ferraris “Presque rien n°1, le lever du jour au bord de la mer”. Sehr schön, dass Edition Mego sämtliche “Presque Riens” jetzt zum ersten Mal publiziert hat. Hier der Klassiker in voller Länge.


4) Luc Ferrari: Presque Rien, No. 1, aus PRESQUE RIEN, LP 1/1, 20'55

Mod 5 - Luc Ferraris berühmtes Werk PRESQUE RIEN, No. 1, aus dem Doppelalbum PRESQUE RIEN, das auf vier Vinylseiten Ferraris vier PREQUE RIEN-Kompositionen versammelt - diese vier Kompositionen erzeugen ein ähnliches Unwirklichkeitsempfinden wie die neue Musik von These New Puritans. diese Band (wen wundert es, dass sie alle an einem englischen Küstenstreifen aufwichsen) zetteln eine bislang so noch nicht gehörte Musik an, die sich aus etlichen Quellen der Klassik- , Jazz- und Popkultur speist, und dabei all jene Lügen straft, die Erneuerungen im weiten Feld des Art-Rock nur noch in Nuancen für möglich halten.
Gerne wird für dieses an Traumszenarien erinnernde Werk Laughing Spirit und Spirit Of Eden von den spätern Talk Talk als Inspiration angeführt. Das stimmt gewiss nicht, was den Sound betrifft, wohl aber, was die Radikalität der Mittel, und diese durchweg surrealen Stimmungen angeht, die alle Lieder auszeichnen.
Natürlich nutzen TNP auch Strömungen der klassischen Avantgarde, und mit Henry Lowther wirkt ein Jazztrompeter mit, den einst auch Mark Hollis von Talk Talk ins Studio lud. Dabei benötigt man als Hörer gewiss etwas Zeit und Einfühlung, sich in diese Klangräume einzufinden - seltsam disparat wirken anfangs einzelne Elemente (ein fragmentierter Chor, ein verloren wirkendes Vibraphon, leise Murmelgesänge).
Die aussergewöhnliche Klangsprache verhindert, dass man auf den uralten Stoff (alte Heimat, Kindheitsräume, und andere Habseligkeiten unseres Lebens) mit den üblichen popmusikalischen Konditionierungen oberflächlicher Anteilnahme reagiert. Hier werden neue Blickwinkel erprobt, alte Rezepturen ratzfatz abgeschafft. Man hat gar eine Fadosängerin dabei, aber glauben Sie nicht, die würde nur einen einzigen Ton Fado singen! Zugleich bewegen sich diese Kompositionen in einem weitgehend melodiösen Raum. NOTHING ELSE, aus der CD FIELD OF REEDS, von These New Puritans.


5) These New Puritans: Nothing Else, aus FIELD OF REEDS, cd 07, 7'47

6) Cristal: HOMEGOING, aus HOMEGOING, cd 04, 5'00 (Ausschnitt)

Mod 6 - Zum Ende der heutigen Klanghorizonte hören Sie noch eine weitere Spieart der Auseinandersetzung mit heinsichen Gefilden. Jimmy Anthony, Gregg Darden und Bobby Done stammen aus Richmond, Virginia, sie nennen sich Cristal und arbeiten für ihre CD “Homegoing“ an mal ruhigen, mal bedrohlichen Drones - es gibt kein gutes deutsches Wort für diese oft elektronisch grundierten Dauertöne, die sich geschichtlich auch aus diesen, jeses Zeitmass ignorierenden, lang schwingenden Bordunklängen anderer Kulturen herleiten.
Viel Detailarbeit investiert das Trio in jede einzelne Klangtextur. Die Klanglandschaften von Cristal können leicht so wirken, wie die Zeitschrift De:Bug es beschreibt, "wie unter Wasser, durch Mauern oder über große Entfernung durch ein Labyrinth von langen Gängen aufgenommen".
Zugleich kann man sich bei dieser Musik leicht vorstellen, wieso Filmregisseure solche "Dronemusik" gerne einsetzen, wenn sie Klänge für weiträumige nackte Landschaften suchen. Und man ahnt, wieso diese CD HOMEGOING heisst. Hiesse sie "homecoming", würde sie gewiss idyllischer, wärmer klingen. Aber HOMEGOING suggeriert eine unbeendete Heimkehr, ein Exil, das jemand endlich zum Abschluss bringen möchte, einen Heimweg, der nicht ohne Gefahren ist. Der Boden unter den Füssen, bei Cristal wie be These New PURITANS, ist ein schwankender, unsicherer Boden.
Mit dem STÜCK TRAVELING von Meredith Monk begannen die Kalghorizonte, mit einer Passage aus dem Titelstück HOMEGOING klingt die Stunde aus, danke fürs Zuhören sagt Michael Engelbrecht,

In einer Woche stelle ich Ihnen an dieser Stelle, wieder um 4.05 Uhr in der Radionacht des Deutschlandfunks, das Meisterwerk SUN SHIP, des John Coltrane Quartetts vor...


6) FORTSETZUNG Cristal: HOMEGOING, aus HOMEGOING


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