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Sonntag, 29. Mai 2016
Erik Satie zum 150. Geburtstag: Parade mit Merkur und Sokrates. (!!!)
Sie waren alle mehr oder weniger eine Generation jünger, mit denen der Komponist Erik Satie im Paris der 20er Jahre kooperierte: Picasso, Diagelev, Cocteau und viele andere. Berühmt für seine Verschrobenheit und für seine abgründigen musikalischen Witze schuf er in diesen Jahren aber auch großangelegte Orchesterstücke für ebendiese Theaterproduktionen und schlussendlich das Drame Symphonique "Socrate": Pure Musik der Vergeistigung in einem Umfeld schnelllebigsten Großstadtlebens. Diesen Werken ist diese Sendung gewidmet.

In Berlin hat es begonnen

Es ist eines der unbekanntesten "missing links" der Geschichte der Kunst des 20. Jahrhunderts: Die Kooperation des damals berühmt-berüchtigten Kubisten Pablo Picasso, des eleganten Kunst-Alleskönners und Literaten Jean Cocteau, des eine Generation älteren, stillen Revolutionärs Erik Satie, des Choreografen Leonide Massine, des Dirigenten Ernest Ansermet, und des Theaterimpressarios und Ballettmeisters Sergej Diaghelev, diese berühmte Zusammenarbeit für das Ballett "Parade" 1917 hat ihre Wurzeln erstaunlicherweise und genaugenommen nicht in Paris, sondern in Berlin.

Und zwei nochmals ganz andere legendäre Künstlernamen stehen am Beginn der Geschichte: Max Reinhardt und Edgar Varèse. 1913 nämlich brachte Max Reinhardt in Berlin den Shakespearschen "Sommernachtstraum" auf die Bühne - mit Mendelssohns berühmter Musik und mit dem damals in Berlin lebenden Edgar Varèse als Chorleiter. Zwei Jahre später, also 1915 - der große Krieg hatte inzwischen begonnen und Edgar Varèse war zurück in Paris - initiierte Varèse eine Pariser Aufführung des "Sommernachtstraums".

Ein Propaganda-Unternehmen

Eigentlich ein Propaganda-Unternehmen: Der Brite Shakespeare - das sollte demonstriert werden - gehöre nicht dem Kriegsgegner Deutschland, sondern mindestens ebenso den Franzosen. Und der Erlös sollte verwundeten Soldaten zugutekommen. Wegen dieses Kontextes will Edgar Varèse auch die alte Mendelssohn-Musik durch zeitgenössische, französische Musik ersetzen. Er denkt an fünf Komponisten, die jeweils einen Teil beitragen sollen: Florent Schmitt, Maurice Ravel, Igor Strawinsky, Erik Satie und Edgar Varèse selbst.

Als Autor und Dramaturg holt Edgar Varèse den jungen Jean Cocteau. Der war in der quirligen Kunstszene des - wie die Pariser sagen - "rive gauche", also der südlich der Seine gelegenen Künstlerviertel, noch nicht verankert und galt noch als eine Art Bürgersnob aus dem "rive droite". Nun aber führt Edgar Varèse den Autor Cocteau in die Künstlerkreise ein, Cocteau selbst schlägt den kubistischen Maler Albert Gleizes vor und wird seinerseits von Edgar Varèse mit Pablo Picasso bekanntgemacht. Letzteres sollte Folgen haben.

Ein ehrgeiziger Plan

Was die Musik betrifft: Edgar Varèse war ein großer Bewunderer des gut fünfzehn Jahre älteren Erik Satie. Deswegen bat er Satie um gleich fünf beizutragende Nummern: Die Eröffnung und das Finale, sowie drei Nummern im Stückverlauf des Shakespearschen "Sommernachtstraums" in Cocteaus Fassung. Die anderen Komponisten sollten jeweils ein Stück beisteuern, so dass folgende Abfolge an Komponisten die Musik für diesen "Sommernachtstraum" ergeben hätte: Satie - Florent Schmitt - Satie - Maurice Ravel - Satie - Igor Stravinsky - Satie - Edgar Varèse - und nochmals Erik Satie.

Wie der vorhin verwendete Konjunktiv schon andeutete: Es kommt nie zur Realisierung dieses ehrgeizigen Plans: Edgar Varèse und Albert Gleizes emigrieren noch im selben Jahr nach Amerika, die begonnenen Proben werden abgebrochen, die Kriegszeiten verunmöglichen das Projekt. Das einzig real Übriggebliebene sind die fünf Stücke von Erik Satie. Aber das wirkliche Vermächtnis dieser vergeblichen Anstrengungen von Egar Varèse ist, dass die Kontakte geknüpft und verknüpft worden waren und zwei Jahre später kooperieren Picasso, Cocteau und Satie für "Parade" dann eben tatsächlich.

"Fünf Grimassen" nennt Erik Satie seinen Beitrag und zur Erläuterung dessen noch ein Nachsatz: Da aus Kriegsgründen die meisten Theater geschlossen waren, wollten Varèse und Cocteau den Sommernachtstraum in einem Zirkus und mit den Zirkusartisten als Darsteller aufführen. Die damals berühmten Fratellini-Brüder hätten entscheidende Rollen übernehmen sollen und die Forschung ist sich ziemlich sicher, dass die erhaltenen Satie-Stücke für diese berühmten Entertainer und Clowns gedacht waren. Auch das, die Einbeziehung des Vaudeville, des Zirkus und der Music Hall, sollte deutliche Spuren in der Musik- und der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts hinterlassen.Erik Saties Orchesterwerk "Socrate" auf Victor Cousins Platon-Übersetzung, sowie seine orchestralen Ballettmusiken "Mercure", "Parade" und "Relâche". Gestaltung: Christian Scheib

Parade mit Merkur und Sokrates In Flac


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