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Mittwoch, 29. Juni 2016
"Joe Jackson & Band"
Muffathalle, München, Aufzeichnung vom 02.03.2016

Joe Jackson & Band:
Joe Jackson, Lead-Gesang, Keyboard, E-Piano
Teddy Kumpel, E-Gitarre
Graham Maby, E-Bass
Doug Yowell, Drums
Joe Jackson & Band

Moderation: Holger Beythien

Intelligente Popsongs des britischen Weltstars
„Ich halte mein Album für ein Meisterstück“. Wer so etwas sagt, muss es sich leisten können - wie etwa der britische Pianist, Sänger und Komponist Joe Jackson. ‚Fast Forward‘ heißt sein aktuelles Meisterstück, von dem er Anfang dieses Jahres auf einer umfangreichen Europatournee einige Songs präsentierte. Ein Album, das der 61-Jährige selbst als eine „bittersüße Angelegenheit“ bezeichnet und, wie er selbst sagt, seinem aktuellen physischen wie psychischen Zustand entspräche. Neben einigen dieser neuen Lieder sang Joe Jackson an jenem Abend in München auch älteres - mit seiner Band und solo, nur am Klavier begleitet. So wurde dieser Konzert-Abend ein klingender Querschnitt durch das umfangreiche Œuvre eines Mannes, der sich vor allem als musikalischer Wanderer zwischen den Stilen einen Namen gemacht hat.

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"Middle East Blues" Über die neue Präsenz israelischer Jazz-Pianisten
Von Karsten Mützelfeldt
Yaron Herman, Omer Klein, Shai Maestro und Anat Fort sind in der internationalen Jazzszene die derzeit bekanntesten Pianisten aus Israel - und nur die Spitze eines instrumentalen Eisbergs. Denn die Liste aufstrebender Kollegen aus Nahost wird immer länger: Nitai Hershkovits, Yonathan Avishai, Roy Assaf, Alon Yavnai, Ehud Asherie, Ari Erev oder der als einstiges Wunderkind geltende Gadi Lehavi - sie alle tragen auf ihre Weise zu einem Phänomen bei, das immer häufiger als 'The Israeli Jazz Wave' bezeichnet wird. Selbst der Bassist Avishai Cohen, der durch seine Rückkehr von den USA nach Israel wie ein Katalysator in der dortigen Jazzszene gewirkt hat, kann sich auch als Klavierspieler hören lassen.
Neben Jerusalem hat sich vor allem Tel Aviv als Kaderschmiede und Pool neuer Talente erwiesen. Machten zunächst Improvisatoren fern der Heimat in New York auf sich aufmerksam, drängen nun immer mehr Künstler von Israel aus in die globale Jazzwelt. Die technische Brillanz ist nur ein vordergründiges Merkmal, das die Pianisten vereint: Der ganz eigene Reiz ihrer Musik speist sich aus den multikulturellen Einflüssen dieses Landes zwischen Orient und Okzident - ein Amalgam aus Jazz, Klassik und Balkanfolklore, der Volkmusik des Nahen Ostens und Nordafrikas. Die 'JazzFacts' stellen einige der Musiker vor und versuchen, den Gründen für diesen Boom auf die Spur zu kommen.
Middle East Blues

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"Melodien im Mondschein" Ein Porträt der Sängerin Ulita Knaus
Von Sarah Seidel
Mit 'The Moon On My Doorstep' meldete sich die Hamburger Sängerin Ulita Knaus 2014 nach einer Auszeit von mehreren Jahren auf dem Jazz-CD-Markt zurück. Nachdem die attraktive Frontfrau zuletzt auf einen allgemeinen Trend aufgesprungen war und ihre Songs poporientiert mit deutschen Texten präsentiert hatte, kehrte sie zurück zum Jazz und zum genretypischen Englisch. So passte alles zusammen: der Tonfall einer souveränen Sängerin, das Material und die Instrumentalisten. Daraus ergaben sich elf variantenreiche Songs, die nicht auf Konformität aus waren, sondern durch wohltuende Reduziertheit und Kreativität überzeugten. Das gilt nach wie vor nicht allein für die erfreulich kitschfreien Texte von Ulita Knaus, sondern gerade auch für die Klänge zwischen Jazzballade, Soul und Groove, die ihren Gesang passgenau umgeben.
Melodien im Mondschein

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Montag, 27. Juni 2016
Hermeto Pascoal e Grupo
Der brasilianische Multiinstrumentalist wird in Musikerkreisen hoch geschätzt und hat entscheidend zur Entwicklung zeitgenössischer rhythmischer Musikentwicklung beigetragen. Sie hören im Nordwestradio am 21. Juni um 22 Uhr einen Ausschnitt aus dem Konzert mit Pascoal und seiner Band.
Am 22. Juni wird er 80: Hermeto Pascoal, ein bunter Vogel der Musikszene Brasiliens, der als fantasievoller Freigeist auch international einen glänzenden Namen hat. Pascoal stammt aus dem brasilianischen Nordosten. Der Albino mit den wallenden Locken ist Autodidakt. Als Multiinstrumentalist, der sich kompositorisch auch mal von Naturklängen oder den Geräuschkulissen des täglichen Lebens inspirieren lässt, leitet er seit Jahrzehnten Gruppen, die stilistisch einen weiten Bogen schlagen von volksmusikalischen Anleihen über Jazz bis zu avantgardistischen Ideen.

Der Percussionist Airto Moreira, mit dem er in den sechziger Jahren zusammenspielte, hatte ihn einst auf der US-amerikanischen Musikszene eingeführt und mit Miles Davis bekannt gemacht. Davis nahm unter anderem die Pascoal-Titel "Nem Um Talvez" und "Selim" auf. Eigene Alben veröffentlicht Hermeto Pascoal seit Anfang der siebziger Jahre. In Bremen trat er erstmals anlässlich des von Radio Bremen organisierten Konzertes in der Schauburg auf.

Das Konzert wurde am 19. Februar 1985 in der Bremer Schauburg aufgenommen.
Hermeto Pascoal e Grupo

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Sonntag, 26. Juni 2016
Jazzdor Berlin 2016: Sylvain Rifflet "Mechanics" + Naïssam Jalal & Rhythms of Resistance
Vom 31. Mai bis zum 3. Juni fand in Berlin zum 10. Mal das Festival Jazzdor statt. 1986 in Straßburg gegründet und schon lange zu einem der bedeutendsten Festivals der europäischen Szene avanciert, ist auch die Berliner Ausgabe eine echte Erfolgsgeschichte mit vielen bemerkenswerten Konzerten. Zu den Höhepunkten in diesem Jahr gehörte der Auftritt der Band "Mechanics" des Multi-Instrumentalisten Sylvain Rifflet.

Sylvain Rifflet, geboren 1976, hat schon direkt nach seinem Studium in Paris in vielen richtungsweisenden Bands gespielt. Zum Beispiel in Andy Emlers "Megaoctet" oder in der Band "Rockingchair", die etliche Preise gewonnen hat und auf vielen größeren Festivals zu erleben war. Was der Saxofonist und Klarinettist schon damals verkörperte, war seine enorme Vielseitigkeit und seine schier unstillbare Neugierde. Er war offen für viele verschiedene Projekte, schrieb Filmmusiken, arbeitete mit dem luxemburgischen Vibraphonisten Pascal Schumacher regelmäßig in verschiedenen Formaten zusammen und nahm mit dem angesagten amerikanischen Saxophonisten Jon Irabagon ein faszinierendes Tribut-Album mit Musik des Gesamtkunstwerkes MOONDOG auf.

Viele Projekte, viele Einflüsse – dennoch kann man in der Musik von Sylvain Rifflet Verbindendes heraushören. Es sind die Strukturen, die oft ganz minimalistisch sind und sich dann Stück für Stück verdichten. Rifflet findet die Komplexität in der Einfachheit und baut auf Texturen auf, die sich auch in der elektronischen Musik und in der frühen Minimal Music finden lassen.

In jedem Fall kann man sich der der aktuellen Band "Mechanics" kaum entziehen, zumal die Band – neben der formalen Strenge – auch eine stark ausgeprägte lyrische Seite verkörpert.

10. Jazzdor Strasbourg-Berlin
Kesselhaus Berlin, Aufzeichnung vom 01.06.2016
Sylvain Rifflet "Mechanics" + Naïssam Jalal & Rhythms of Resistance In Flac

Sylvain Rifflet "Mechanics"

Sylvain Rifflet, Saxofon, Klarinette
Joce Mienniel, Flöte, Kalimba
Benjamin Flament, Perkussion
Philippe Gordiani, Gitarre


Naïssam Jalal & Rhythms Of Resistance

Naïssam Jalal (flute, nay, compositions),
Mehdi Chaïb (sax tenor et soprano, percussions),
Karsten Hochapfel (guitare, violoncelle),
Matyas Szandai (contrebasse)
Arnaud Dolmen (batterie).

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"Das Alter(n) der Avantgarde oder warum das Morgen nach Gestern klingt" Von Harry Lachner
Die sich als Vorhut gerierenden Experimentalisten entwarfen am Beginn des 20. Jahrhunderts eine Kunst von Morgen. Sie sollte das Produkt einer imaginären Zeitreise werden, ein Fundstück, das als Trophäe aus der Zukunft zurückgebracht wird. Was die Literaten, Künstler und Musiker einte, war eine der Aufbruchszeit geschuldete Fortschrittsgläubigkeit: Geschichte als planbares Kontinuum der Hoffnung und der Hybris. Und heute? Nichts klingt so alt wie eine Avantgarde von gestern, die als ihre eigene, wehmütig inszenierte Geschichte in der Gegenwart herumirrt. Ist aus den visionären Konzepten mehr geworden als ein Reservoir für Zitate, ein Dekor für kommerzielle Strategien?
swr2-essay-20160620 (pdf, 155 KB) Manuskript
Das Alter(n) der Avantgarde oder warum das Morgen nach Gestern klingt

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Der Pianist Kenny Drew (1928-1993)
Mit elegantem Swing, tiefen Wurzeln im Bebop und beeinflusst von Bud Powell zählte der Pianist Kenny Drew als Begleit- und Trio-Pianisten zu den prägenden Figuren der zweiten Generation des Bebop.

Seine ersten Plattenaufnahmen machte Kenny Drew 1949 mit dem Howard McGhee Orchester, bevor er in den frühen 1950er-Jahren in zahlreichen hochkarätigen Bands mitwirkte. Er war festes Mitglied von Charlie Parker’s Quintett, spielte mit Coleman Hawkins, Lester Young, Buddy Rich und Milt Jackson. Bis 1960 leitete er zahlreiche Aufnahmesitzungen für die führenden Jazzlabels, auf denen Musiker wie Sonny Rollins, Johnny Griffin und Chet Baker im Vordergrund standen. Als er sich 1961 entschloss, für immer nach Europa zu gehen, stieß er auf wenig Verständnis seiner Kollegen, die den zuverlässigen, elegant swingenden Pianisten nicht missen wollten.
Von 1964 bis zu seinem Tod lebte Kenny Drew in Kopenhagen und wurde schnell zu einem festen Mitglied der Szene im "Montmartre Jazzhus", wo er zumeist dort auftretende TourneeMusiker wie Dexter Gordon, Stan Getz oder Gene Ammons begleitete. Er ging mit ihnen ins Studio und begleitete sie auf Festivalauftritten. Daneben nahm Drew zahlreiche Alben unter eigenem Namen in allen denkbaren Besetzungen für das dänische Steeplechase-Label auf und fand einen neuen Schwerpunkt seiner Tätigkeit in Japan.
Playlist
Kenny Drew In Flac

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Sounding Cities
Situative Klanglandschaften und musikalische Abbilder urbaner Lebensräume: Die akustische Reichhaltigkeit und Vielschichtigkeit urbaner Räume bieten dem kreativen Zugriff zahllose Möglichkeiten.
Das "unbehandelte" Abbilden ortsgebundener Klänge ist ebenso eine ästhetische Strategie wie die "Verkünstlichung" des Vorgefundenen. Die instrumentale Abstraktion urbaner Momente steht wiederum in den Stücken von Heiner Goebbels, Rolf Riehm und und Steve Reich im Zentrum: "Ich wollte die Stadt als Text betrachten und einige ihrer Mechanismen und architektonischen Strukturen in Musik umsetzen", sagt Heiner Goebbels über sein Stück "Surrogate Cities".
Sounding Cities In Flac

Mit Ausschnitten aus:
Hildegard Westerkamp: A Walk Through the City (1981)
Heiner Goebbels: Surrogate Cities (1994) Suite für Sampler und Orchester
Natasha Barrett: Oslo Sound Space Transportation System (2010–12)
Michael Pisaro: Transparent Cities (2004–06)
Steve Reich: City Life (1995) für Ensemble und Sampler
Sébastien Roux/Célia Houdart: Car j’étais avec eux tout le temps (2010)
Rolf Riehm: Hamamuth – Stadt der Engel (2005) für Klavier
Moderation: Michael Rebhahn

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Donnerstag, 23. Juni 2016
"Drohkulisse" Die Stadt, die Nacht und ihre Klänge
Von Harry Lachner

Das Dunkel legt sich über die Welt. Schärfer treten die Klänge hervor, die zuvor von der Umtriebigkeit des Tages zurückgedrängt wurden. Verdrängt wie die Gedanken, die nur in der Nacht an die Oberfläche dringen: Sehnsüchte, Gewaltphantasien, Vereinsamungsgefühle. Hinter der Fassade des Schlafs blühen die öffentlichen und die privaten Dramen. Jede Nachtstunde wird zur Begegnung mit dem Lebensrand, wenn man für kurze Zeit die sentimentale Schwäche für das Leben vergisst. Die Stadt ist ein Faszinosum, mal Glücksversprechen, mal Ort des sozialen und psychischen Elends, Ort der Gefährdung - und der Selbstgefährdung. Denn wie der Philosoph E. M. Cioran sagte: "Nach Mitternacht beginnt der Rausch der verderblichen Wahrheiten." Nachts, wenn der Schlaf der Vernunft die Ungeheuer gebiert und der Wahnsinn des Tages sich verflüchtigt, dann klingen alle Stimmen, alle Klänge nur mehr wie von fern, wird jeder zu einer Figur des Zwielichts.
Die Stadt, die Nacht und ihre Klänge In Flac

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Mittwoch, 22. Juni 2016
Innenansichten: New York INSIDE und mehr !
New York INSIDE von Thom Kubli ist ein akustisches Portrait, das sich dem gängigen Bild von New York als laute, 
prosperierende und impulsive Großstadt entzieht.
Der Schweizer Künstler und Komponist Thom Kubli erkundet in seiner neuen Produktion für WDR 3 Open Sounds einen auditiven Mikrokosmos aus einem zentralen Innenraum heraus: Einer Sublet-Wohnung in einem zwölfstöckigen Apartmentblock in der New Yorker Upper Westside, in der er über einen Sommer gewohnt hat.
Die verwendeten Klänge stammen von Fieldrecordings aus den Räumen, von Improvisationen auf dem vorgefundenen, verstimmten Klavier und von der Beschäftigung mit den Objekten der untergemieteten Wohnung -Requisiten eines anderen Lebens, deren Kontexte sich nur schemenhaft erschließen.
Der akustische Innenraum, der durch Routinen und Alltäglichkeit definiert ist, filtert das spektakuläre Außen zu filigranen und bis zum Verschwinden leisen Klangtexturen. Die wiederum schichtet Kubli in digitaler Dekonstruktion zu einem subtilen und poetisch dichten Klangbild. Entgegen der herkömmlichen Wahrnehmung New Yorks als strahlende Metropole, verfolgt das Stück die akustischen Symptome von Abwesenheit -von Veränderung, Indifferenz und Phantasma.

New York INSIDE In Flac

Anschließend lassen wir uns vom Schlagzeuger Matthias Kaul in sein heimisches Probenzimmer entführen, hören zu, wie der Klangkünstler und Harmoniumspieler Gerald Fiebig in eine neue Wohnung zieht, erleben, wie der Architekt Bernhard Leitner neue Klangräume schafft, suchen mit der Medienkünstlerin Alisa Berger eine Nervenheilanstalt auf und unternehmen mit dem Komponisten Thomas Köner eine Klangexpediton ins grönländische Inlandeis.

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