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Samstag, 12. März 2016
Ensemble Zeitkratzer: "Ruckzuck ins Heute"
Heinrich Deisl
Der Werkskatalog von Zeitkratzer umfasst an die 30 Veröffentlichungen. Das 1997 vom Pianisten und Komponisten Reinhold Friedl in Berlin gegründete Ensemble trat als "artist in residence" u.a. auf der Berliner Volksbühne und dem Kremser Donaufestival auf. Letztes Jahr erschien mit "Live at Jahrhunderthalle Bochum" die zweite Zusammenarbeit mit Keiji Haino und aktuell arbeitet das Ensemble an einer Interpretation der ersten beiden Platten der Band Kraftwerk.

Neben Aufnahmen mit John Duncan, Terre Thaemlitz, Zbigniew Karkowski oder Whitehouse haben Zeitkratzer Interpretationen von Werken von Stockhausen, Xenakis oder Lucier und Bearbeitungen von deutscher Volksmusik und von Walzerstücken veröffentlicht. Und sie spielten mit Radu Malfatti, Jim O'Rouke oder Lee Ranaldo von Sonic Youth. 2007 erschien Zeitkratzers Version von Lou Reeds epochaler Platte "Metal Machine Music".

Die nächste große Produktion von Zeitkratzer ist ihre Fassung der beiden Kraftwerk-Platten von 1970 bzw. 1972. Dafür wurden einige Stücke aus "Kraftwerk" und "Kraftwerk 2" für neunköpfige Ensemble-Besetzung transkribiert. Diese Veröffentlichungen stellen die prä-elektronische Phase der Düsseldorfer Band dar. Die Premiere findet diesen Mai in Marseille statt.
Zeitkratzer ist neben seinen vielen Soloaktivitäten das Hauptbetätigungsfeld von Reinhold Friedl. In diesem Zeit-Ton erzählt Friedl über Inspirationen und Einflüsse sowie über Grenzüberschreitungen und Gemeinsamkeiten von zeitgenössischer, experimenteller und Popmusik.
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Ensemble Zeitkratzer In Flac

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"New Geographies in Sound Art" Von Esther Schelander
"New Geographies in Sound Art"
Von Esther Schelander
Produktion: Deutschlandradio Kultur/Berliner Künstlerprogramm des DAAD/CTM Festival 2016
Länge: ca. 54’30
(Ursendung)
New Geographies in Sound Art In flac

Eine Diskussion über die Folgen der globalen Vernetzung von Klangkünstlern.
Klänge sind beweglich. In Windeseile finden sie von der Schallquelle zum Ohr. Diese Reichweite hat das Internet in den letzten Jahren vervielfacht und damit auch den Wirkungskreis von Klangkünstlern. Ihre Arbeiten lassen sich meist leichter transportieren als bildende Kunst, sie brauchen keine Übersetzung wie die Literatur. Diese Entwicklung birgt Chancen, wirft aber auch Fragen auf: Welche kulturellen Unterschiede kommen zum Tragen? Wie begegnet man der Faszination des Exotischen? Verflüssigt sich die Kunst im Gewimmel der Praktiken und Projekte? Solche Themen waren Gegenstand einer Expertenrunde, die am 31. Januar im Rahmen des CTM-Festivals Berlin stattfand. Wir senden die prägnantesten Beiträge.

Esther Schelander, geboren 1983 in Tübingen, studierte Multimedia-Art in Salzburg. Als Autorin, Tontechnikerin und Mediagestalterin arbeitet sie in den Bereichen Rundfunk, Hörbuch und Theater.

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"On The Edge" Bruchstücke einer Geschichte der frei improvisierten Musik (3)
Wege in der Freiheit 3: Laptop - Reduktion - Re-Entry - „freie“ Improvisation und Echtzeitmusik heute
Von Nina Polaschegg

Die 1990er-Jahre: Die "freie" Improvisation hat sich längst zu einer eigenständigen Musikform entwickelt. Ein neues Instrument beeinflusst zunehmend auch das Denken anderer InstrumentalistInnen: der Laptop, der nun preislich erschwinglich und von der Rechenleistung her schnell genug ist, um als gleichwertiges Instrumentenbasis mitzumischen. Unter dem letztlich schillernden Begriff der Reduktion zusammengefasst, lassen sich einige Entwicklungen um die Jahrtausendwende beschreiben: Die Idee des Loop-basierten Spiels öffnet neue Gedankenwelten. MusikerInnen legen einzelne (Neben)Geräusche quasi unters Mikroskop, um sie in ihren Bestandteilen zu erforschen. Und sie gehen Fragen nach Pausen, Stille und einer radikalen Entsubjektivierung der Musik nach.
Und heute? Wie lässt sich "frei" improvisierte Musik weiter denken nach Phasen radikaler Dichte eines Free Jazz Powerplay einerseits und radikaler Reduktion andererseits? Ein Re-Entry lässt sich beobachten, ein nach und nach Wiederzulassen von einst Verdrängtem: von Harmonie und Rhythmus, Melodie und Geste etc. Und zwar nicht als ein Zurück-zu, sondern neu gedacht.
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On The Edge 3 In Flac

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Don Cherry in Ankara
Von Harry Lachner
Eigentlich, sagte er einmal, sei alle Musik im Grunde eins; musikalische Grenzen zwischen den Kulturen seien allein von den Menschen und obendrein willkürlich gezogen. Don Cherry, jener Trompeter, der maßgeblich an der Entwicklung des Free Jazz beteiligt war, ließ Grenzen für sich nicht gelten. Weder die formalen und formalisierten des Jazz, noch jene der Kulturen. Ein Nomade war er, immer bereit, sich dem Neuen, dem Unbekannten zu stellen, sich darin einzufinden - und zu lernen. Er reiste durch die Welt mit dem Blick des ewig Neugierigen, dem jede Kategorisierung und Bewertung suspekt war, spielte mit den ansässigen Musikern und erlernte neue, für den Jazz ungewöhnliche Instrumente - wie eine Harfe aus Mali oder verschiedene Flöten aus der Türkei. Seine Suche nach traditionellen Spielpraktiken, risiko- und improvisationsfreudigen Musikern führte ihn 1969 auch nach Ankara. Aus der Begegnung mit dort ansässigen Jazzmusikern entstand nicht nur ein Album ("Live In Ankara"), sondern es entwickelte sich auch eine langjährige Freundschaft mit dem Perkussionisten Okay Temiz, mit dem Cherry immer wieder Konzerte gab. Don Cherry, 1936 in Oklahoma geboren, starb 1995 in Malaga. (Produktion 2009)
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Don Cherry in Ankara In Flac

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"Rasender Stillstand" Jazzmusiker erkunden das Geheimnis der Gnawa
mit Harry Lachner

Back to the roots: Ende der Sechziger Jahre machten sich amerikanische Jazzmusiker auf, die mehr oder weniger imaginierten Ursprünge ihrer Musik in Afrika aufzuspüren und in ihre eigenen Konzepte einzubinden. Dabei offenbarte sich aber weniger eine Gemeinsamkeit, als vielmehr die große Differenz zwischen Ritual und Freiheit.
Nach den mehr oder weniger gescheiterten Begegnungen mit nordafrikanischen Tuareg-Musikern - namentlich den Master Musicians of Jajouka - wandten sich Jazzmusiker wie der Saxophonist Archie Shepp einer anderen Form traditioneller Musik dieser Region zu: den Ritualen der marokkanischen Gnawa. In ihrer Musik sind die Bezüge zum Blues, zum 'Call-and-Response'-Schema deutlicher. Und diese rhythmisch prägnante Musik bietet größere Räume, zwischen denen sich die freie Improvisation der Jazzmusiker entfalten kann. Der Saxophonist Pharoah Sanders sowie der Pianist Randy Weston fanden hier zu einer musikalischen Form, die in ihrer Stringenz und ihrer gleichzeitigen Offenheit weit entfernt von bloßem Gefälligkeits-Exotismus ist. Einer der Gründe für das Gelingen dieser Zusammenarbeit mag auch darin liegen, dass Musiker wie Randy Weston die Essenz der Gnawa-Musik im Bereich ihrer Spiritualität finden.
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Rasender Stillstand In Flac

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Montag, 7. März 2016
Das musikalische Universum der Sängerin Lucia Cadotsch
Die Schweizer Sängerin Lucia Cadotsch hat bereits mit der Band "Schneeweiss und Rosenrot" drei Alben aufgenommen und im Jahr 2012 mit dieser den "Neuen Deutschen Jazzpreis" gewonnen. Neben weiteren Bands und Projekten, an denen sie beteiligt ist (u.a. Yellow Bird) hat sie nun auch ihr erstes Album unter eigenem Namen veröffentlicht. Die Wahl-Berlinerin demonstriert darauf eindrucksvoll, wie man alte Jazzstandards wie "Speak Low" oder "Willow weep for me" erfrischend neu interpretieren kann.
Moderation: Lothar Jänichen
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Lucia Cadotsch

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Improvisierend Komponieren Der amerikanische Komponist und Improvisator Elliott Sharp
Von Reinhard Kager

Elliott Sharp erzählt, wie er während seines Studiums Morton Feldman nachhaltig verstörte
und wieder zum Komponieren zurückfand.
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Elliott Sharp

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"Les amours perdues" - Serge Gainsbourg in Jazz
Mit Karl Lippegaus

1984 hat Gainsbourg sich einen neuen Flügel gekauft. Durch einen gemeinsamen Freund in Paris kontaktiert er den Jazzmusiker Martial Solal. Für ein Privatkonzert, chez Serge, rue de Verneuil. An jenem Nachmittag lauschen Gainsbourg und seine Freundin Bambou dem berühmten Jazzpianisten. Zu Beginn fragt ihn Solal: „Viele Töne oder wenige?“ – „Viele!“ Dann schöpft Solal aus dem Repertoire des großen Art Tatum. Am Ende stellt ihm Gainsbourg einen großzügig dotierten Scheck aus.

Es ist eine von vielen Episoden aus Gainsbourgs Leben, die von seiner Jazz-Passion erzählen. Mag das auch mit zunehmendem Erfolg in Vergessenheit geraten sein: Serge Gainsbourg, mit bürgerlichem Namen Lucien Ginsburg, Jahrgang 1928, der Sohn eines russischen Pianisten, war ein echter Jazzfan. Zu seinen frühesten Erinnerungen gehörten Songs von Cole Porter, gespielt vom Vater Joseph. Jazz war die Musik, die er am liebsten mochte, die er gerne selber gespielt hätte, aber er fand Jazz sehr anspruchsvoll und schwer verkäuflich.

Der junge Gainsbourg liebte den „swingenden Troubadour“ Charles Trenet, lernte Klavier und Gitarre, verehrte Django Reinhardt, The Modern Jazz Quartet, Gerry Mulligan und Jackie McLean. Die Zeit als Barpianist war für ihn eine wichtige Schule. Zu seinen stärksten Eindrücken gehörte Billie Holiday 1954 in Paris, wie sie „Gloomy Sunday“ sang. In jenem Club, dem Blue Note, war Gainsbourg damals Stammgast. Er sammelte die neuesten Platten von Art Tatum und Dizzy Gillespie. Auf die berühmte einsame Insel wollte er ein Album von Stan Kenton mitnehmen.
Serge Gainsbourg

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"Samba Gasconne" Der Multiinstrumentalist Bernard Lubat
mit Ekkehard Jost
Der Multiinstrumentalist Bernard Lubat ist sicherlich nicht der bekannteste Vertreter des zeitgenössischen Jazz in Frankreich, doch ohne Frage gehört er zu den interessantesten Musikern aus der vielfältigen französischen Jazzszene.
Geboren direkt nach Kriegsende und aufgewachsen in der Gascogne im südwestlichen Frankreich, kam Lubat sehr früh mit der Musikkultur seiner Heimat in Berührung. Er spielte in der Dorfkapelle seines Vater zunächst Akkordeon, später Schlagzeug und Klavier und studierte schließlich beide Instrumente auf 'klassische Art' – zunächst am Konservatorium von Bordeaux und später am Conservatoire National in Paris. Dort begann er sich für den Jazz zu erwärmen, ging bei dem Bebop-Pionier Kenny Clarke in die Lehre und bestand mit Studienfreunden seine ersten jazzmusikalischen Abenteuer. Als Sänger gehörte er zu der legendären Vokalgruppe Double Six de Paris, später spielte Lubat als Schlagzeuger an der Seite von Stan Getz, wurde gleichberechtigter Partner in Michel Portals "Unit" und gründete schließlich die "Compagnie Lubat", eine unkonventionelle Formation, deren Programme und multimediale Aufführungspraxis die üblichen Gepflogenheiten jazzmusikalischer Darbietungen radikal in Frage stellte.
Von all diesen und einigen mehr Aktivitäten des Multi-Instrumentalisten Bernard Lubat wird in unserer Sendung die Rede sein – musikalisch illustriert durch eine Fülle wenig bekannter Einspielungen, welche den deutschen Schallplattenmarkt nur allzu selten erreichten.
Bernard Lubat

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My Favorite Things: Jazz Talk mit Peter Brötzmann
Eine Sendung von Marianne Therstappen
Vor fünf Jahren, zu seinem 70. Geburtstag, wurde er allerorten gefeiert und geehrt, der Free Jazz-Musiker Peter Brötzmann, der Bildende Künstler Peter Brötzmann.
Am 6. März 1941 wurde er in Remscheid geboren. Er studierte Kunst in Wuppertal und spürte, dass noch eine andere Energie in ihm brodelte - die Musik. Auf dem Saxofon brach heraus, was sich in dem jungen Peter Brötzmann aufgestaut hatte: der Zorn auf die unverarbeitete Vergangenheit vor allem der deutschen Geschichte. Er war nicht allein. Seine Generation erhob sich und forderte Aufklärung und Veränderung. Und der "Free Jazz" aus den USA bot Peter Brötzmann die adäquaten Stil-Mittel, um seiner - auch durch die Ideen von Karl Marx genährten - Überzeugung mit aller Potenz lautstark Ausdruck zu verleihen.

Sein Ziel verfehlte er nicht. "Machine Gun", eines seiner ersten von zahllosen Alben, spaltete die Jazzgemeinde. Die einen wandten sich ab, die anderen wollten mehr. Der expressive und hoch sensible Free-Jazzer und Kunstschaffende Peter Brötzmann polarisiert und provoziert bewusst mit seiner anspruchsvollen Musik bis heute und weltweit. Und es berührt, dass er Louis Armstrong, Duke Ellington, Coleman Hawkins, Sonny Rollins und Charles Mingus ebenso wie Muddy Waters zu seinen "Favorites" zählt. Wir feiern den 75. Geburtstag von Peter Brötzmann, dem "Laut-Maler".
Peter Brötzmann

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