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Sonntag, 28. Februar 2016
"On The Edge 2"
Bruchstücke einer Geschichte der frei improvisierten Musik von ihren Anfängen Mitte des 20. Jahrhunderts bis zur Gegenwart (2) Wege in die Freiheit 2: Emanzipation vom (Noten)Text in der neuen Musik
Von Nina Polaschegg Blickt man auf die Anfänge des Free Jazz und der sogenannten frei improvisierten Musik, steht die Frage im Zentrum, wovon sich die Musiker zu befreien suchten. Der zweite Teil der mehrteiligen Sendereihe zur Geschichte der frei improvisierten Musik lenkt den Blick auf die Entwicklungen der zeitgenössischen komponierten Musik nach 1945. Neben den Serialisten gab es Komponierende, die ganz andere Wege verfolgten. Der Begriff der Unbestimmtheit etwa wird zu allererst mit John Cage in Verbindung gebracht. Den Interpreten wird in gewissem Rahmen ein Mitbestimmungsrecht, ja eine Entscheidungspflicht auferlegt. Neue Notationsformen waren ein weiterer Schritt in diese Richtung, einige Komponisten lösten sich sogar völlig vom Notenkontext. Vieles von dem inspirierte auch diejenigen Jazzmusiker, die einen eigenen Weg des freien Spiels suchten. Vor allem von England aus begannen Musiker wie Derek Bailey, Tony Oxley, John Stevens oder die Formation AMM, sich immer mehr vom Jazz zu emanzipieren und eine völlig freie Musik zu entwickeln, die unter anderem auch von der Rezeption zeitgenössischer komponierter Musik und der Bildenden Kunst geprägt war. On The Edge 2 "Sing Me Song of Songmy" Der türkische Komponist Ilhan Mimaroğlu (1926-2012)
Eine Sendung von Stefan Fricke
İlhan Mimaroğlu war ein Ausnahmemusiker. Als er in den Sechzigern von Istanbul nach New York ging, wusste er nicht, dass er hier für immer bleiben sollte. Hier realisierte er höchst eindrucksvolle Stücke für Lautsprecher, agierte als ein herausragender Plattenproduzent für Jazz und experimentelle Musik, demonstrierte mit seiner akustischen Kunst gegen den Vietnam-Krieg, entdeckte die bruitistischen Klangspiele des Künstlers Jean Dubuffet, schrieb darüber und über viele andere musikalische Themen (darunter die ersten türkischen Publikationen zur Elektronischen und zur Neuen Musik sowie zum zeitgenössischen Jazz) und versorgte seine Heimat vom Big Apple aus mit regelmäßigen Radiosendungen, schickte die Vorabaufnahmen per Luftpost zu TRT nach Ankara. hr2-Musikredakteur Stefan Fricke hat sich auf eine Spurensuche begeben. Sing Me Song of Songmy "Kaki King" Konzertmitschnitt vom 22. Juni 2008, Moments, Bremen
Die amerikanische Gitarristin, die in New York lebt, experimentiert gern mit verschiedenen Ausdrucksformen und hat sich neben ihrer Musik auch mit Filmmusiken beschäftigt. Im Juni 2008 trat sie im Bremer Moments auf und begeisterte die Besucher. Zu hören ist nun ein Ausschnitt aus diesem Konzert.
Schon als kleines Kind hatte Katherine King begonnen, Gitarre zu spielen. Vorübergehend zog sie das Schlagzeug vor, aber am Ende schrieb sich die Frau aus dem US-amerikanischen Süden als Gitarrenstudentin an einer Hochschule in New York City ein. Im Jahr 2003 erschien ihr Album-Debüt. Der puristische Fingerstyle-Ansatz stellte sie auf Dauer nicht zufrieden. In den folgenden Jahren entwickelte sich Kaki King zu einer abenteuerlustigen Musikerin mit ausgeprägtem Independent-Geist, die gezielt neue Herausforderungen suchte und nach alternativen Spieltechniken und Soundmöglichkeiten strebte. Auch als eigenwillige Singer-Songwriterin profilierte sie sich. Kaki King "Song For My Father" Eine Begegnung mit Avishai Cohen
Mit Karl Lippegaus
Die New York Times lobt ihn als einen "extravaganten Trompeter, entspannt und soulful, jemand der Sinnlichkeit und Flair ausstrahlt." Avishai Cohen ist aktiv bei den 3 Cohens, einem erstaunlichen Sextett mit seinen Geschwistern Anat (Klarinette) und Yuval (Saxofon), sowie im SF Jazz Collective. Das Mark Turner Quartet, sagt er, sei aber die einzige der vielen Formationen, in denen er in den letzten Jahren aktiv war und wo er weiter mitmachen möchte. Treffend formulierte seine Schwester Anat, eine exzellente Klarinettistin, in welchem Universum sich beide heute bewegen: “Ich finde, die israelischen Musiker sind sehr verbunden mit ihren Instrumenten, und mit Tradition dieser amerikanischen Kunstform, die man Jazz nennt. Mir fällt auf, dass viele von ihnen nicht davor zurückschrecken, sich mit anderen Kulturen der Welt zu befassen und sich ins Zentrum einer anderen Kultur begeben, um sie zu absorbieren und - sozial und musikalisch - mit ihr zu verschmelzen.“ Folkore prägt Jazz Schwarze Nächte Kein Zweifel, Avishai Cohen ist längst "angekommen" - als Leader, Co-Leader und Sideman. "Dark Nights" heißt sein siebtes Album, im Trio mit Bassist Omer Avital und Drummer Nasheet Waits, das er Triveni nennt - wie den Zusammenfluss dreier Ströme. Für seinen italienischen Kollegen Enrico Rava ist er "mein Favorit unter den jungen Trompetern". Avishai Cohen wurde in Tel Aviv geboren und gab schon als Zehnjähriger vor einer Bigband sein erstes Konzert. Er tourte mit dem Young Israeli Philharmonic Orchestra unter Zubin Metha, Kurt Masur und Kent Nagano. Daneben arbeitete er viel mit Folk- und Popkünstlerin und reiste in die USA mit einem Stipendium an der Berklee School of Music. Song for my father 1997 gewann der heute in New York lebende Künstler die Thelonious Monk Trumpet Competition. Doch erst fünf Jahre später erschien sein fulminantes Debütalbum "The Trumpet Player", von da an ging's weiter bergauf. In diesen Tagen erscheint ein Album Avishai Cohens, das für ihn eine ganz besondere Bedeutung hat: es ist eine Elegie auf seinen Vater, der kurz vor den Aufnahmen verstarb. Keiner der beteiligten Musiker, nicht mal Avishai selbst, hatte die neuen Stücke gehört, bevor man gemeinsam mit dem Produzenten Manfred Eicher das Studio La Buissonne in der Provence betrat. Song for my Father "Crimson 'n' Jazz"
Wie klingt denn das? Wenn man King Crimson, einer der renommiertesten Bands des britischen Art-, heute würde man sagen Prog-Rock, sozusagen den Stecker 'rauszieht und diese kraftvolle Musik einem Saxofon-Quartett überantwortet?
Es klingt wunderbar, es treten melodische Strukturen hervor, die des elektrischen Pathos gar nicht bedürfen. Anlässlich seines 30. Geburtstages bat das britische Delta Saxophone Quartett, ansonsten in der Minimal Music zu Hause, den derzeit profiliertesten Jazzpianisten Englands, Gwilym Simcock, ihm etwas Herausforderndes auf die Pulte zu legen. So etwas in der Art von "Dedicated to you..." dem Album, mit dem die vier Holzbläser im Jahr 2007 Soft Machine, eine andere Heldenband des Art Rock gecovert hatten. Nun baute Simcock also King Crimson-Songs um, schrieb eigene dazu und arrangierte das Ganze so, dass Delta "Crimson!" auch ohne ihn aufführen kann, denn der Pianist wird als neues Mitglied der Pat Metheny Group nur noch schwer zu erreichen sein. Außerdem in dieser Sendung: das Crimson Jazz Trio, das unter Beteiligung des Ex-Crimson-Drummers Ian Wallace (1946-2007) King Crimson durch das Nadelöhr eines Jazz Trios schickte. Moderation: Michel Rüsenberg Crimson 'n' Jazz In Flac Mittwoch, 24. Februar 2016
JazzFacts vom 11.2.2016
Neues von der Improvisierten Musik
- „Omniverse Sun Ra“: Buch über das Klanguniversum eines selbsternannten Kosmikers - „Jazzuary Brussels“: drei Festivals und ein musikalischer Spaziergang durch Belgiens Hauptstadt - „What Was Said“: Pianist Tord Gustavsen und Sängerin Simin Tander im Niemandsland zwischen Norwegen und Afghanistan - weitere CDs: Corrie Dick, Simone Zanchini, Peter Weniger Jazzfacts vom 11.2.2016 Mit Karsten Mützelfeldt "Zwischen Rohrblatt und Computer" Ein Porträt des Saxofonisten Johannes Enders
Von Odilo Clausnitzer
Seine Biografie weist ihn als ‚Deutschlands derzeit einflussreichsten Jazzsaxofonisten‘ aus. Mit rund 20 Plattenveröffentlichungen unter eigenem Namen, zahlreichen Preisen und einer Professur in Leipzig nimmt Johannes Enders tatsächlich eine herausragende Position in der nationalen Jazzlandschaft ein. Auch seine stilistische Bandbreite ist außergewöhnlich. Der 48-Jährige vereint auf unverwechselbare Weise zupackende Post-Coltrane-Power mit der zarten Lyrik eines Stan Getz. Seit seinem Studium in den USA arbeitet er regelmäßig mit amerikanischen Musikern zusammen, so u.a. in seinem Quartett mit dem Schlagzeuger Billy Hart. Neben seinen rein akustischen Jazzprojekten setzt sich Enders aber auch intensiv mit Computerklängen auseinander. Seine Bands Enders Room bzw. Enders Dome gelten als wegweisend auf dem Gebiet der Vereinigung von Jazz und elektronischer Musik. Zwischen Rohrblatt und Computer Sonntag, 21. Februar 2016
Auf Wunsch hochgeladen: "Seelische Nachtmeerfahrten" Eine Lange Nacht der Schwarzen Romantik
Von Simone Stölzel
"Ach, wenn mir nur gruselte!" - Wer wie im Grimm'schen Märchen auszieht, das Fürchten zu lernen, der findet in der Literatur der Schwarzen Romantik und ihrer Nachfolger ein schillerndes Spektrum düsterer Phantasmagorien. Da steigen Vampire nachts aus ihrem Grabe, verrückte Wissenschaftler brauen verderbliche Tränke und böse Meister aller Arten kaufen Unschuldigen den Schatten oder gar die Seele ab ... Bei diesen seelischen Nachtmeerfahrten werden die Hörer der "Langen Nacht" in ein Pandämonium literarischer Schrecknisse entführt, wie es u.a. Heinrich Heine, E.T.A. Hoffmann und Théophile Gautier, Mary Shelley und Bram Stoker, Guy de Maupassant und Robert Louis Stevenson mit hintergründiger Raffinesse entfaltet haben: "Früher hat es Menschen gegeben, die sich Banditen anwarben; diese begingen ihre Verbrechen, während sie selbst und ihr Ruf in Sicherheit blieben. Ich war der erste, der ein gleiches Verfahren anwandte, um seinen Lüsten zu genügen. (...) Bedenke doch - ich war ja gar nicht vorhanden! Wenn ich nur die schützende Tür meines Laboratoriums hinter mir schließen konnte, wenn mir nur einige Sekunden gegeben waren, um den Trank, der immer in Bereitschaft stand, zu mischen und zu mir zu nehmen, dann schwand Edward Hyde dahin, was immer er auch getan hatte, wie der Atemhauch auf einer Glasscheibe." Seelische Nachtmeerfahrten Auf Wunsch hochgeladen: "Das Haus" nach dem Roman von Mark Z. Danielewski (!!!)
Hörspiel des Monats
Von Mark Z. Danielewski "Ein Albtraum, eine Höhlenexpedition oder ein Trip in Dunkelkammern des Unbewussten? Mark Z. Danielewskis Kultbuch "Das Haus" ist dies alles zugleich und noch mehr: dekonstruktivistische Zitatenklitterung und Schocker eines Autors, der Derridas Ironie mit elementaren Schrecken des Horrorpioniers Howard Lovecraft vereint. Von dieser effektsicheren Mischung profitiert das Hörspielprojekt, das in Thomas Böhms Bearbeitung einen Danielewski-Verschnitt in drei simultan gesendeten Versionen bietet, zwischen denen der Hörer hin und her schalten soll. Bei unterschiedlichen Perspektiven haben die drei Stücke doch den gleichen Ausgangspunkt und Hintergrund: Kaum hat die Familie eines Filmregisseurs ihr Haus bezogen, entdeckt sie unter dem vermeintlich festen Wohnsitz ein gespenstisch labiles Höhlensystem. Unter diesem Heim macht sich das Unheimliche breit .... Die drei beteiligten Regisseure und die Komponisten (Andreas Bick, Thom Kubli, Rainer Quade) entwickeln eine akustische Ästhetik für alles, was da lockt und droht. So weit das Ohr reicht, wummert und wimmert, grollt und heult der Horrorstau in der Endlosschleife. Ein Hörspiel für Zapper? Ja, aber nicht nur. Das experimentelle Spiel spiegelt manche existentielle Herausforderung. So wird auch der Hörer zum Abenteurer, der im akustischen Labyrinth nach versprengten Stücken roten Fadens jagt." (Aus der Begründung der Jury) Das Haus Aus dem Amerikanischen übersetzt von Christa Schuenke Bearbeitung: Thomas Böhm Zampano Roberto Ciulli Vorleserin /Beatrice Camilla Renschke Brookes Michaela Breit Truant Tom Schilling Reston Markus Scheumann Ansager Andreas Grothgar Karen Sascha Icks u.a. Komposition: Andreas Bick, Thom Kubli, Rainer Quade Regie: Claudia Johanna Leist, Jörg Schlüter, Martin Zylka WDR 2009 Auf Wunsch hochgeladen:
"Träumend von den großen schwarzen Schwänen" Die Ästhetik des Widerstands in Alejo Carpentiers "Le sacre du Printemps" Von Klaus Emrich
Das Opus magnum des kubanischen Autors "La Consagración de la Primavera" vereint die alten Mythen Russlands und der Antillen mit den Kämpfen der Gegenwart. Der Kubaner Alejo Carpentier, der am 26. Dezember 1904 in Lausanne geboren wurde, hat "kreolische Sensibilität" und "lateinamerikanisachen Zauber" in die Literatur eingebracht. "Le Sacre du Printemps“ - das Ballett Igor Strawinskys, gab dem Opus magnum Carpentiers seinen Namen: „La Consagración de la Primavera“. Carpentier beginnt seinen Roman mit den Ereignissen in Spanien 1936, einer „Revolution, in der Poesie, Gesang enthalten war“, wie Peter Weiss notierte. Er endet mit dem Sieg der Bärtigen 1959 in La Habana. Alejo Carpentier schrieb mit seinem letzten Werk eine ganz eigene real-wunderbare „Ästhetik des Widerstands“. Er zeigt „Menschen von heute, die schon danach trachteten, Menschen von morgen zu sein“. Er verbindet das historische Geschehen mit der schmerzhaften und widersprüchlichen Aneignung der Musik Igor Strawinskys und der Choreografie Vaslav Nijinskys durch eine Gruppe von Tänzern. „La Consagración de la Primavera“ / „Le Sacre du Printemps“ vereint die alten Mythen Russlands und der Antillen mit den Kämpfen der Gegenwart, hebt den Gegensatz zwischen Rituell-Archaischem und Revolutionärem auf. Der Dichter bringt so die Verhältnisse zum Tanzen, Kultus und Kultur werden eins. Träumend von den großen schwarzen Schwänen ... Ältere Stories
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