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Montag, 30. November 2015
"Lamentatio" Formen der Trauermusik
Von Harry Lachner

Musik über den Tod hinaus: Musik als Form des Trauerns, als Beschwörung und Stilisierung des letzten Augenblicks, als tönende Begleitung für die letzte Reise. So verschieden die Kulturen und Religionen sind, so vielfältig zeigt sich auch die Musik zu den Begräbnisritualen. Wir beobachten die festliche Ausgelassenheit manch fremder Kulturen, weil wir heute selbst auf bestimmte, festgefahrene Formeln musikalischer Trauerbezeugungen eingeschworen sind, die sich im christlichen Kulturkreis erst in den letzten Jahrhunderten herausgebildet haben. Bereits in den Begräbnissen im alten Ägypten spielten Tanz und Musik bei den Begräbniszeremonien immer eine wichtige Rolle. In den Reglementierungen versichern sich die Trauernden aller Kulturen noch einmal der Ordnung des Diesseits. Das Ritual ist Gestaltung, der Versuch, dem Chaos des Lebens eine endgültige und letzte Ordnung zu geben. Das Leben lässt sich nicht gestalten, aber der Tod. In der Zeremonie verschwindet das Chaos. Die Musik kann in strenger Gemessenheit, im Trauermarsch-Rhythmus verharren. Aber auch die karnevaleske Umkehrung ist möglich. Dann, wenn dem Tod das Leben als Fest gegenübergestellt wird.
Manuskript zur Sendungswr2-musikpassagen-20151122 (pdf, 131 KB)
Lamentatio

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Donnerstag, 26. November 2015
"Funky Mutanten" Musik von Arca, Dr.John und Bill Wells
Mit Klaus Walter

“Mutant” heißt das tolle Album von Arca, der als musikalischer Partner von Björk bekannt wurde. Zeit-Online hört bei dem venezolanischen Produzenten “Geräusche, wie sie die Welt noch nicht gehört hat“. Sowas wird ja gern mal geschrieben, wenn den Leuten sonst nichts einfällt, aber im Falle Arca könnte ebenso was dran sein wie einst bei Dr. John, der gestern 75 wurde. Der Hamburger Kritiker Lars Brinkmann schreibt über Dr.Johns 1968er-Klassiker “Walk On Gilded Splinters”: „Nicht weniger als eine musikalische Erweckungszeremonie von einer Strahlkraft, die sich mit handelsüblichen interplanetarischer Gaswolken messen kann.“ Dr.John hat häufig mit Allen Toussaint zusammengespielt, wir erinnern an die New Orleans-Legende, die vor zwei Wochen gestorben ist. Und begrüßen die Comeback-Platten von Missy Elliott und Janet Jackson. Letztere wird mit dem Tribute-Album „Dear Janet“ gewürdigt. Und dann ist da noch Bill Wells. Der schottische Kauz ist Nachtmix-Artist der Woche und kann so ziemlich alles: Kinderlieder, Weihnachtslieder, Standards, Beach Boys.
Playlist
Funky Mutanten

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Bill Frisell "Music For Strings" Konzertmitschnitt vom 13. Oktober 2015, Kulturzentrum Schlachthof Bremen
Bei seinem Konzertprogramm hat sich Bill Frisell vor der amerikanischen Musiker-Ikone Woody Guthrie verneigt. Mit langjährigen Weggefährten, Jenny Scheinman, Eyvind Kang und Hank Roberts, ist er am 13. Oktober diesen Jahres im Kulturzentrum Schlachthof aufgetreten.
Bill Frisell ist einer der bedeutendsten Jazz-Gitarristen der Gegenwart. Wobei die Jazz-Zuordnung genau genommen viel zu kurz greift. Zwar bildet das weite Feld des Jazz seit Jahren die Basis seines Schaffens. Doch die vielfältigen Interessen des US-Amerikaners, seine Talente und seine Strahlkraft reichen weit darüber hinaus. So hat Frisell, berühmt für seinen markanten Sound und seine einfühlsame Saitenkunst, auch mit namhaften Singer/Songwritern gespielt.

Würdigung einer amerikanischen Ikone
In seinen eigenen zahllosen Unternehmungen hat er nie einen Hehl daraus gemacht, dass ihn die Vielfalt an bekommenen Einflüssen bis heute prägen. Da gab es in jüngerer Zeit zum Beispiel Americana-Projekte, eine Verbeugung vor John Lennon oder aufgefrischte Erinnerungen an den Beat-, Surf- und Rock'n'Roll-Sound von einst. In diese Linie passt Frisells aktuelles Programm "Music For Strings". Dreh- und Angelpunkt sind Stücke eines ganz persönlichen Woody Guthrie-Projektes, überschrieben "This Land: Woody Guthrie's Better World". Damit würdigt Frisell, auf die ihm eigene Weise, das grandiose Werk dieser Ikone des US-amerikanischen Folk- und Protestsongs. Dazu kommen ausgewählte Stücke anderer Produktionen, auch des beschaulichen Kammermusik-Albums "Big Sur".

Unterwegs mit langjährigen Weggefährten
Unterwegs war der Gitarrist mit einer hochkarätigen "String-Band", die auch an "Big Sur" beteiligt war: Jenny Scheinman (Geige), Eyvind Kang (Viola), Hank Roberts (Cello). Alle drei sind langjährige Weggefährten – Hank Roberts war schon in den achtziger Jahren als Mitglied einer Frisell-Band in Bremen gewesen. Mit "Music For Strings" kehrte ein wahrer Saiten-Meister und eine herausragende Persönlichkeit zwischen Jazz und Americana zurück: Ein stimmungsvoller Akustik-Abend jenseits aller Stilgrenzen.
Bill Frisell "Music For Strings"

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"Doug MacLeod Band" Konzertmitschnitt vom 26. Juli 1988, Dix, Bremen
Der amerikanische Gitarrist wurde für seine Spielweise mehrfach für den W. C. Handy Award nominiert. Der Bluesmann ist zudem ein brillanter Geschichtenerzähler. 1988 trat er gemeinsam mit seiner Band im Bremer Dix auf.
Bluesmann Doug MacLeod ist in mehrfacher Hinsicht durch gute Schulen gegangen. Nach einem Gitarrenstudium an der renommierten Berklee School Of Music lernte er als Gitarrist diverser Bands, was es bedeutet, alltäglich in Sachen Blues unterwegs zu sein. Zu seinen Arbeitgebern gehörten alte Hasen wie Mundharmonika-As Shaky Jake Harris. Auch für Eddie "Cleanhead" Viinson und Pee Wee Crayton hat er in die Saiten gegriffen.

Sein erstes eigenes Album konnte MacLeod mit Ende Dreißig aufnehmen. Damals war er schon lange in Los Angeles, Kalifornien zuhause, bis heute seine Heimat. Nach zwei Albumveröffentlichungen auf einem deutschen Label machte er 1988 mit seinem Quartett im Bremer Kellerclub "Dix" beim Bahnhof Station, vormals ein Laden für traditionellen Jazz. Später kehrte MacLeod, der ein großartiger Blues-Entertainer und -Geschichtenerzähler ist, mehrfach als Solist in unsere Region zurück.
Doug MacLeod Band

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Dienstag, 24. November 2015
JazzFacts: Jazzfest Berlin 2015
Eindrücke und Höhepunkte
Am Mikrofon: Karsten Mützelfeldt
Im vergangenen Jahr hatte man fünf Dekaden Festivalgeschichte gefeiert - und für den Auftakt ins zweite halbe Jahrhundert mit dem englischen Journalisten Richard Williams einen neuen künstlerischen Leiter engagiert. "Was ist Jazz heute und wohin geht seine Reise? Das Programm des diesjährigen Festivals soll die kontinuierliche Entwicklung einer Musik widerspiegeln, deren Einfluss zunehmend weit über die eigenen Grenzen hinweg zu spüren ist und deren Interpreten eines gemeinsam haben: den Wunsch, weiter zu kommen." So war auf der Website der Berliner Festspiele zu lesen. Darüber, ob und wie dieser hohe Anspruch erfüllt werden konnte, gibt Karsten Mützelfeldt in den 'JazzFacts' eingehend Auskunft. An geschichtsträchtigen wie auch neuen Namen fehlt es jedenfalls nicht: von Charles Lloyd, Keith Tippett und Louis Moholo über Jungstars wie Cecile McLorin Salvant, Giovanni Guidi, Vincent Peirani oder Ambrose Akinmusire bis hin zu experimentierfreudigen Berliner Formationen wie dem Splitter Orchester und dem Ensemble Diwan der Kontinente.
Jazzfest Berlin 2015

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Samstag, 21. November 2015
"Dancing in your head" Mit SCNTST, Seb Wildblood und Deadbeat
Mit Judith Schnaubelt

"Wenn mich überhaupt etwas dazu motiviert hat, die schlimmsten Zeiten meines Lebens durchzustehen, war das neben Musik machen, mit anderen auszugehen, Musik zu hören und gemeinsam zu tanzen. Es gibt kaum etwas, das meine Stimmung so schnell zu heben vermag wie das Tanzen." So beschreibt Scott Monteith alias Deadbeat, geschätzter Dubtechnoproduzent und DJ aus Montreal, wie er überlebt hat, während ihm das Schicksal im vergangenen Jahr übel mitgespielt hat. Scott Monteith hat diese Zeit wunderbar verarbeitet auf seinem neuen Album "Walls and Dimensions". Was mit traurig elegantem Dubtechno beginnt, entwickelt sich allmählich in Richtung fluffig swingende Housetracks. Und zu allem singen KünstlerInnen, die wie Scott in Berlin leben: Fink, Dehlia De France oder Elif Bicer. In der Mjunik Disco spielt heute Elektrotwen SCNTST, Jahrgang 1993. Auf seiner neuen "4FRIENDZ"-EP rollt die Grooves schon so wunderbar rund wie von alten Meistern. Ein U-Boot blubbert viele Luftblasen ins blaue Meer. Und so gutgelaunt das Cover von Seb Wildbloods "Submarine EP" wirkt, so klingt auch die House Music des Londoners, dazu melodiös und verträumt. Man kann zu dieser Nachtsession also auch tun, was einst der große Ornette Coleman propagierte: "Dancing in your Head". Und man kann träumen.
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Dancing in your head

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"Ray Anderson Quartet"
Konzertmitschnitt vom 28. Oktober 1990, Bürgerhaus Weserterrassen
Als Ray Anderson zum ersten Mal mit einer "klassischen" Quartettbesetzung in Bremen Station machte, hatte er sich bereits einen Namen als brillanter Posaunist mit einem ungewöhnlich breiten stilistischen Spektrum gemacht. In Bremen traten sie im Bürgerhaus Weserterrassen auf.
Das Können des Quartetts reicht neben Ray Anderson, von den ambitionierten Kompositions- und Improvisationsstrukturen eines Anthony Braxton über das gleichberechtigte Trio "Bass-Drum-Bone" und die Großformation von Carla Bley bis hin zum schweißtreibenden Freefunk der "Slickaphonics". Als Frontmann von Letzteren schlüpfte Ray Anderson sogar in die Rolle des Sängers und Vortänzers. Bassist Mark Helias, Ko-Leader der "Slickaphonics", gehörte auch jenem Quartett an, mit dem Anderson das Publikum im Bremer Bürgerhaus Weserterrassen überzeugte.
Ray Anderson Quartet

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Freitag, 20. November 2015
"Das Spiel mit den Identitäten" Musik von John Talabot, José González und Larry Gus
Mit Sabine Gietzelt

Ein falscher Amerikaner, der ein Katalane ist (John Talabot), ein Schwede mit spanischem Namen (José González), zwei unechte Brüder Jeff und Jay Hardman (Uwe und Janek, KEINE Brüder), ein Grieche (Panagiotis Melidis), der in Italien (Milano) lebt und einen englischen Künstlernamen( Larry Gus) hat. Wie nochmal? Es sind falsche Personalien, aber die richtige Musik.
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Das Spiel mit den Identitäten

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"Working Week"
Konzertmitschnitt vom 29. Mai 1985, Glocke, Bremen
Die britische Band wurde 1983 von Simon Booth und Larry Stabbins gegründet. Ziel war es, Musik zu machen, die tanzbar, aber auch politisch motiviert war. In Bremen traten sie in der Glocke auf.
Von einer "New Jazz"-Bewegung war im England der frühen achtziger Jahre eine Zeitlang die Rede. Unter diesem Mode-Etikett zusammengefasst wurden Gruppen, die auf die eine oder andere Weise Pop, Soul und Latin mit Jazz-Elementen verknüpften. Die Spanne reichte von "Everything But The Girl" bis zu "Sade".

Zu den musikalisch vielseitigsten gehörte das Trio "Working Week", das sich mit einer Reihe kompetenter Instrumentalisten umgab. Gitarrist Simon Booth (alias Simon Emmerson kam von der Kammerpop-Band "Weekend", Saxophonist Larry Stabbins brachte Jazz-Credibility mit, Sängerin Juliet Roberts war eine junge Soul/Funk/Dance-Vokalistin). Kurz nach Veröffentlichung des Debütalbums ging die Band erstmals international auf Tournee. Ausschnitte des Bremer Konzertes wurden jüngst auf CD veröffentlicht.
Working Week

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Julia Kadel Trio
LIVE
Jazzfest Berlin A-Trane Aufzeichnung vom 05.11.2015

Julia Kadel Trio:
Julia Kadel, Klavier
Karl-Erik Enkelmann, Bass
Steffen Roth, Schlagzeug
Moderation: Matthias Wegner
Julia Kadel Trio

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