radiohörer - der blog für radiofans
Montag, 2. November 2015
"Ornettology" Ode(n) an die Musik des Saxophonisten Ornette Coleman (1930-2015) (!!!)
mit Karl Lippegaus

u.a. mit Geri Allen, Ed Blackwell, Paul Bley, Don Byron, Don Cherry, Alice Coltrane, Gil Evans, Jerry Garcia, Charlie Haden, Billy Higgins, Keith Jarrett, Scott LaFaro, Joachim Kühn, John Lewis, Charles Lloyd, Pat Metheny, Paul Motian, Art Pepper, Dewey u. Joshua Redman, Gunther Schuller
dlf jazznacht 311015 ornette playlist1 (pdf, 58 KB)

Ornettology 1
Ornettology 2
Ornettology 3
Ornettology 4
Ornettology 5
Viel Spass !!!

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Sonntag, 1. November 2015
"Anima - Die Seele der Musik" Ein Porträt des Schlagzeugers Jens Düppe
Von Anja Buchmann
Die Tatsache, dass der Schlagzeuger sich für Jazz zu interessieren begann, verdankte er unter anderem einer Kassette mit Miles Davis 'Kind of Blue', die seine Mutter abends gern hörte. Und er erinnert sich auch noch, warum er in jungen Jahren im heimischen Schwäbisch Gmünd irgendwann so richtig diszipliniert zu üben begann: Während eines Austauschs im englischen York gab Jens ein Konzert mit seiner Schul-Big Band - und hatte dabei die Gelegenheit, einen damals noch besseren jungen englischen Schlagzeugkollegen zu hören, der ihn mit einem furiosen Drumsolo anspornte. Nach dem Abitur studierte Jens Düppe zunächst Musikwissenschaft in Weimar und später Jazz in Amsterdam und New York.
Heute spielt der versierte Perkussionist in Ensembles vom Duo bis hin zur Big Band, unterhält mit 'Kommunikation 9' seit fünf Jahren eine Konzertreihe - und veröffentlichte kürzlich sein Debüt 'Anima' mit eigener Band. Im Quartett präsentiert Jens Düppe fließenden, melodiösen Jazz, der an den Rändern zu Pop und Neuer Musik schnuppert: Musik, die atmet, pulsiert und viel Seele zeigt.
Anima - Die Seele der Musik

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HOPE feat. Alfred 23 Harth & Chris Cutler
Bis heute hat sich die Musik von Cassiber etwas Verstörendes, Undomestizierbares bewahrt. Es sind Klangmanifeste der permanenten Unruhe. Als sich 1982 die drei Frankfurter Radikal-Phantasten Heiner Goebbels, Alfred Harth und Christoph Anders mit dem englischen Schlagzeuger Chris Cutler verbündeten, hatte sich ein Kollektiv aus musikalischen Querschlägern zusammen gefunden, das in Europa seinesgleichen suchte. In einer Zeit, in der tendenziell alle Klänge und musikalischen Materialien historisch wie geographisch verfügbar wurden, ging es den Vier um die strukturelle Genauigkeit ihrer Neuordnung. Sie entwarfen aufstörende Geräusch-Rätsel mit politischem Anspruch, zwischen ausuferndem Experiment und formallogischer Geschlossenheit changierend. Die zehn Jahre, 1982 – 1992, in denen Cassiber in Quartett-, später in Trio-Besetzung aktiv war, materialisierten sich in vier Studioalben und einem Live-Album. Zum 30-jährigen Bühnenjubiläum erschien eine opulente Box mit unveröffentlichtem Material und der Botschaft: Die Legende lebt!

Jetzt haben sich zwei der Gründungsmitglieder von Cassiber, Alfred 23 Harth und Chris Cutler, mit zwei japanischen Klangforschern, dem Gitarristen Kazuhisa Uchihashi und dem Bassisten Mitsuru Nasuno zusammengetan, um das Cassiber-Konzept unter den Bedingungen der Gegenwart noch einmal auf den Prüfstand zu stellen. Ihr neues Bandprojekt HOPE schreibt die Kollision der Genres fort und nutzt dabei die elektronischen Möglichkeiten des 21. Jahrhunderts.

Seit fünfzehn Jahren lebt und arbeitet Alfred 23 Harth in Fernost und kollaboriert dort ständig mit einheimischen Musikern. Neben seinen Hauptinstrumenten, Tenor- und Sopransaxophon, erforscht er in bester Ornette-Coleman-Manier als genialer Dilettant längst auch Kornett und Posaune. "Wenn ich mental gut gepolt bin, dann öffnen sich mir im Spiel winzige Nischen, in denen ganz seltene Klangblüten entstehen, scharfe, stechende, schneidende Gebilde."

Der japanische Gitarrist Kazuhisa Uchihashi ist umgekehrt seit Jahren in den Szenen von Wien und Berlin unterwegs, wo er seine Vorliebe für freie Improvisationen auslebt. Angefangen hatte er mit dem Gitarrenspiel im Alter von zwölf Jahren. Nach ersten Rock- und Jazz-Erfahrungen gründete er 1990 zusammen mit dem Drummer Yasuhiro Yoshigaki und dem Bassisten Mitsuru Nasuno das No-Wave-Trio Altered States. 1993 ging Uchihashi dann mit dem Gitarristen Hans Reichel auf Tour und ist seitdem – wie sein Wuppertaler Mentor – in das seltsame Streichinstrument "Daxophon" vernarrt.

Uchihashi ist Mitglied in dem international besetzten Quartett The Expats, während Mitsuru Nasuno u.a. mit Keiji Haino arbeitet und noch immer mit Altered States spielt. Nasuno, der mit 17 zum Bass fand, hat ebenfalls eine Rocksozialisation durchlaufen, interessiert sich heute aber vor allem für die Möglichkeiten von 'Noise Music', für die elektronischen Sounderweiterungen seines Bassinstruments. Chris Cutler, Kazuhisa Uchihashi und Mitsuru Nasuno kennen und schätzen sich ebenfalls seit langem, nicht zuletzt durch ihre gemeinsame Arbeit in den Bands des Multiinstrumentalisten Otomo Yoshihide. Noch immer benutzt Cutler sein Schlagzeug wie eine feingliedrige Geräuschskulptur. Seine rhythmischen Störmanöver und perkussiven Verwirrspiele faszinieren die Musikwelt seit den Anfängen der britischen Avantgarde-Rock-Gruppe Henry Cow in den späten 60ern.

Im November 2014 schloss sich im Londoner Barbican Center ein Kreis: Alfred 23 Harth und Chris Cutler standen zusammen beim "Lindsay Cooper Memorial Project" auf der Bühne. Und hier wurde mit den Frankfurter Festivalmachern auch die Idee geboren, sich 33 Jahre nach dem Debüt von Cassiber auf dem Deutschen Jazzfestival 1982 in der Alten Oper Frankfurt noch einmal in neuer Besetzung (Überraschungen nicht ausgeschlossen!) den Herausforderungen "improvisierter Komposition" zu stellen. Dann kann es passieren, dass wieder einmal jener Charme des Vertrauten mit der Fremdheit des Unerwarteten kollidiert.
HOPE feat. Alfred 23 Harth & Chris Cutler In Flac

Alfred 23 Harth | ts, ss, cl, pocket-tp, tb, electronics
Kazuhisa Uchihashi | g, electronics, daxophon
Mitsuru Nasuno | el-b, electronics
Chris Cutler | dr, electronics

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MARK TURNER QUARTET: "LATHE OF HEAVEN"
Zart und feingliedrig beginnt er seine Soli, steigert sich langsam, verlässt fast nie das Terrain der Melodiösität. Die allerdings erlebt so manche ungeahnte und wohl auch bislang ungespielte Wendung. Turner verfügt über eine fast grenzenlose Lufthoheit in den obersten Lagen seines Horns. Die Altissimo-Register, die beim Tenorsaxophon zum großen Teil durch Überblas-Flageolettos erzeugt werden, sind bei Turner abrufbar ohne jene sonst dabei übliche schrille Eindringlichkeit. Der Mann ist ein Lyriker durch und durch. Seine magische Intensität erreicht er mit Verhaltenheit und schwebender Leichtigkeit. Er lässt Pausen, seine Musik hat Space: Raum fürs Geheimnisvolle.

Mark Turner ist anders als die meisten seiner Instrumentalkollegen. Er ist zwar auf vielen Alben als Sideman vertreten, aber seit 2002 hatte er keine eigene Band mehr, bis sich im letzten Jahr mit "Lathe Of Heaven" das Mark Turner Quartet präsentierte. Der Titel bezieht sich auf einen Science-Fiction-Roman aus den 70ern. Wie Wayne Shorter hat Turner ein Faible für dieses Genre. Turner bezieht sich in seinem Spiel aber nicht nur auf die üblichen Altvorderen von John Coltrane bis Joe Henderson. Bei ihm gibt es deutliche Bezüge auf Warne Marsh, einen weniger bekannten weißen Tenoristen aus dem Umfeld des Cool-Jazz-Gurus Lennie Tristano. Turners Band spielt ohne ein Harmonie-Instrument, das fördere die Spannung, Leerstellen gehören für ihn wesentlich zur Dramaturgie. Das alles zusammen hat dazu geführt, dass sich einige Medienvertreter bei Turner schon mit Superlativen gegenseitig zu übertreffen versuchten. Sein Spiel scheint die Gravitation auf den Kopf zu stellen. Mit wenig erreicht er sehr viel Gewicht.

Zur Verstärkung der ätherischen Eleganz seiner Musik hat sich Turner den Trompeter Avishai Cohen in die Band geholt. Die beiden haben eine ähnliche Spannweite, mit der sie durch den Raum schweben. Manchmal erinnern sie in ihrem intuitiven Formationsflug in Quart- und Quint-Abständen ein wenig an Miles und Wayne. Oft ist es gar nicht so leicht, die komponierten von den gemeinsam improvisierten Parts zu unterscheiden, so gut sind sie zusammen. Mehr als nur das Fahrgestell sind in dieser Versuchsanordnung der Bassist Joe Martin und der Schlagzeuger Obed Calvaire. Mit beiden hat Turner bereits in anderen Bands zusammengespielt. Menschliche Vertrautheit, gegenseitige Verlässlichkeit sind beim Familien-Menschen Turner – der sich in den letzten Jahren eine lange Auszeit genommen hat, um mit seinen Kindern zusammen sein zu können – Kategorien, die ihm auch wesentlich sind fürs Erreichen von nahezu transzendentaler Tonzauberei.
MARK TURNER QUARTET: "LATHE OF HEAVEN" In Flac

Mark Turner | ts
Avishai Cohen | tp
Joe Martin | b
Obed Calvaire | dr

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"JAZZ FROM HELL" – hr-BIGBAND PLAYS ZAPPA
Frank Zappas Verhältnis zu Bigbands ist – wie so oft bei ihm – von einer merkwürdigen Hassliebe geprägt. Dabei bieten sich seine Kompositionen für Bigband-Arrangements förmlich an: Sie verblenden Doo-Wop, Motown, Bebop, Surf Music, Varèse-Geräuschmelodien, Musique concrète, Rock’n’Roll, Jazzrock, Country Music und Comic-Sounds wild miteinander und gehorchen dabei doch immer Zappas manischer Präzision. Dazu kommen sein legendärer anarchischer Witz und seine überbordende, weil unberechenbare Vitalität. Nicht zufällig zählt der Mann mit dem markanten Schnauzbart heute zu den großen Außenseiter-Ikonen der musikalischen Moderne – lebenslang von einer fast wahnwitzigen Arbeitswut getrieben: In dreißig Jahren hat er mehr als achtzig Alben aufgenommen, bevor er 1993 im Alter von zweiundfünfzig Jahren starb.

"Seit den frühesten Tagen der Mothers of Invention wollte ich gern eine Art 'elektrisches Orchester' zusammenstellen, das in der Lage ist, vertrackte Kompositionen mit der gleichen Soundintensität zu spielen, wie man sie normalerweise mit kleinen Rockbands assoziiert" (Frank Zappa). Mit seinem umständlich benannten "The Mothers of Invention/Hot Rats/Grand Wazoo"-Orchestra – einer 20-köpfigen Bigband mit zwei E-Gitarren, Cello, fünf Saxophonisten, Fagott, drei Trompeten, drei Posaunen, Keyboard, Bass, Schlagzeug und zwei Vibraphonen – glaubte Zappa im September 1972, sich seinen lang gehegten Wunsch erstmals erfüllen zu können. Doch es sollte ein kurzer Traum bleiben. Nach einer Tour mit acht Konzerten zerfiel das unprofitable Ensemble: "Die Band ist einfach zu groß, um damit durch die Weltgeschichte zu tingeln."

Dabei hatte Zappa sich für seine Verhältnisse ganz nah an den zeitgenössischen Jazz herangewagt – Miles Davis mit "Live-Evil" ließ grüßen – und in kurzer Folge die beiden Alben "Waka/Jawaka" und "The Grand Wazoo" veröffentlicht: Rockjazz mit streng modalen Soli und labyrinthischen Melodien, Jazzgrößen wie Ernie Watts, George Duke, Tom Malone und Bruce Fowler waren mit von der Partie. Die hochkomplexen Arrangements von Stücken wie "Big Swifty" oder "Approximate" voller Takt- und Rhythmuswechsel waren vom gängigen Pop-Mainstream um Lichtjahre entfernt. Hier konnte Zappa seiner lebenslangen Liebe zu den Komponisten Charles Mingus, Thelonious Monk und Eric Dolphy endlich freien Lauf lassen.

Für jede Bigband bleibt es gleichwohl eine Herausforderung, sich die artistische Virtuosität anzuverwandeln, die sich in den asymetrischen Mustern seiner Musik mitteilt. Dazu kommt, dass sich viele seiner Stücke nicht in Form von Harmonieschemata oder Akkordfolgen denken lassen, weil sie um eine Fülle von tonalen Zentren kreisen, die sich ständig ändern. Umso aufregender dürfte das Zappa-Programm des amerikanischen Arrangeurs Mike Holober werden, das er jetzt der hr-Bigband verordnet. Vielleicht gelingt ihm ja einzulösen, was Dweezil Zappa, Franks Sohn, kürzlich als Hoffnung äußerte: "Ich glaube, junge Leute, die heute Zappas Stücke zum ersten Mal hören, können dadurch ihr ganzes Verhältnis zur zeitgenössischen Musik schlagartig ändern!"
hr-BIGBAND PLAYS ZAPPA In Flac

Mike Holober | cond, arr

Frank Wellert | tp
Thomas Vogel | tp
Martin Auer | tp
Axel Schlosser | tp
Günter Bollmann | tb
Jürgen Neudert| tb
Christian Jaksjø | tb
Manfred Honetschläger | b-tb
Heinz-Dieter Sauerborn | as
Oliver Leicht | as
Tony Lakatos | ts
Steffen Weber | ts
Rainer Heute | bs
Martin Scales | g
Peter Reiter | p
Thomas Heidepriem | b
Jean Paul Höchstädter | dr

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Samstag, 31. Oktober 2015
GREAT BLACK MUSIC – ANCIENT TO THE FUTURE!
JACK DEJOHNETTE / ROSCOE MITCHELL / MATTHEW GARRISON
Als 1966 unter dem Titel "Sound" das erste Solo-Album des Saxophonisten Roscoe Mitchell herauskam, war damit zugleich ein Manifest der AACM-Ästhetik geschaffen: Stille und Pausen wurden plötzlich ebenso wichtig wie Töne und Klänge. Hier setzte jemand dem konventionellen Free Jazz-Ideal einer riskanten Kakophonie das Konzept eines penibel organisierten Klangraums entgegen. Melodische Themen tauchen darin eher zufällig auf, expressive Soli – oft Vehikel persönlicher Selbstentgrenzung – fehlen fast vollständig. Stattdessen erhalten einzelne Noten oder kürzelhafte Phrasen völlig neues Gewicht.

Mit dieser musikalischen Vision sollte die Chicagoer AACM die Vorherrschaft von New York im Jazz nachhaltig in Frage stellen. Während dort zeitgleich "New Thing"-Vertreter wie der Pianist Cecil Taylor oder der Saxophonist Archie Shepp den „Energie-Gedanken“ im Jazz stark machten und auf eine Art "kinetische Kraft" in ihren Improvisationen vertrauten, ging es den Chicagoer Musikern vor allem um Fragen einer homogenen Sound-Architektur.

1967 formierte Mitchell mit seinen Chicagoer Weggefährten Lester Bowie, Joseph Jarman und Malachi Favors das Roscoe Mitchell Art Ensemble, schon bald einfach Art Ensemble genannt, bevor die Gruppe 1969 endgültig zu ihrem Markennamen Art Ensemble of Chicago fand. Das Kollektiv trat in afrikanischen Gewändern und mit Gesichtsbe-malung auf und emanzipierte die sog. "little instruments" – kleine afrikanische Geräuscherzeuger – als vollwertige Musikinstrumente, um damit Perkussionsteppiche und Klangflächen zu schaffen. Neben seiner Mitwirkung im Art Ensemble of Chicago erprobte Mitchell in unzähligen Duo- und Solo-Einspielungen seine eruptiven Klangkaskaden, die sich – girlandengleich – zu immer neuen hypnotischen Mustern formen.

"Ich denke, ich spreche auch für meine Kollegen, wenn ich sage, dass wir unsere Musik für Menschen mit freiem Geist, mit offenen Ohren und keinerlei Berührungsängsten spielen, es ist schöpferische Musik – mit dem nötigen Ernst geschaffen und aufgeführt." Das Credo des Schlagzeugers Jack DeJohnette, der mit Mitchell bereits Anfang der 60er in einer Schulband am Wison Junior College in Chicago jammte, gilt für die gesamte Karriere des 72-Jährigen. Anders als seine AACM-Kollegen ging DeJohnette 1966 nach New York, um bald darauf in den Bands von Charles Lloyd, Keith Jarrett, Bill Evans und Miles Davis zu trommeln. DeJohnette entwickelte sich in der Folgezeit zu einem der vielseitigsten und feinnervigsten Drummer des modernen Jazz. Jetzt kehrt er zu seinen Wurzeln an der Chicagoer South Side zurück, indem er sich erneut mit seinem früheren Dialog-Partner Mitchell zusammenrauft.

Das neue Trio, das auf dem Deutschen Jazzfestival Frankfurt seine Weltpremiere feiert, wird durch den Bassisten Matthew Garrison komplettiert. Ihm war die Jazzkarriere dank seines Vaters Jimmy – Bassist im legendären John Coltrane Quartet – schon in die Wiege gelegt. Nach dem Tod seines Vaters wanderte die Familie nach Italien aus, wo Garrison Bass- und Piano-Unterricht erhielt. 1988 kehrte er in die USA zurück und lebte für zwei Jahre im Haus von Jack DeJohnette, der ihn mit den Entwicklungen im zeitgenössischen Jazz vertraut machte. Matthew Garrison entwickelte sich schnell zu einem Virtuosen am E-Bass. In seinem Spiel amalgamiert er Einflüsse aus Jazz, Funk, World Music, Ambient und Drum’n’Bass. Kein Wunder, dass er in den letzten Jahren immer wieder in den Bands von Herbie Hancock, John McLaughlin, Chaka Khan, John Scofield, Paul Simon, Joni Mitchell und Pat Metheny mitwirkte.

Anlässlich ihres 50-jährigen Jubiläums hat sich die AACM einen neuen Claim gesetzt: "Together – A Power Stronger Than Itself". Das Trio von Jack DeJohnette, Roscoe Mitchell und Matthew Garrison lässt ihn im Konzert Wirklichkeit werden.
JACK DEJOHNETTE / ROSCOE MITCHELL / MATTHEW GARRISON In Flac

Jack DeJohnette | dr, p
Roscoe Mitchell | reeds
Matthew Garrison | el-b

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GREAT BLACK MUSIC – ANCIENT TO THE FUTURE!
AACM 'NOW' GENERATION
Einen einheitlichen AACM-Stil sucht man vergebens. Muhal Richard Abrams, der bis heute unverzichtbare Ratgeber der Bewegung, hat jüngst erklärt: "Unser Stil besteht darin, die Leute zu ermuntern, selbstsicher zu werden." Dies haben auch die Musiker der jüngsten AACM-Generation beherzigt. Die Mitglieder ihres 'Now'-Generation-Ensembles kommen aus den unterschiedlichsten Kulturszenen: Während die Vokalistin und Komponistin Coco Elysses ihre Inspirationen aus dem Schauspiel und der Literatur schöpft, ist Khari B. in der amerikanischen Slam-Poetry-Szene zu Hause. Bandleader und Trompeter Ben LaMar Gay wiederum versteht sich als Geschichtenerzähler auf seinem Horn in der Tradition eines Clifford Brown oder Miles Davis. Nebenbei hat er sein Instrument in Rap-Duos oder 50-köpfigen Sinfonieorchestern im Spiel.

Die Cellistin Tomeka Reid, die erst im Jahr 2000 nach Chicago kam und sich fünf Jahre später der AACM anschloss, begreift sich als Vertreterin der Avantgarde. In ihrem Quartett mit der Gitarristin Mary Halverson – ihr Auftritt war im vergangenen Jahr ein Highlight des 45. Deutschen Jazzfestivals Frankfurt – gelingt ihr immer wieder die Illusion, ganze Passagen der Musik auskomponiert wirken zu lassen, obwohl sie komplett improvisiert sind. Der gebürtige Chicagoer Trompeter und Trap-Drum-Virtuose Jerome Croswell bezieht sich dagegen explizit auf westafrikanische Trommeltraditionen. Seine Stilistik an der Trompete erinnert bisweilen an die Vorleistungen von Freddie Hubbard und Wynton Marsalis. Komplettiert wird die AACM 'Now'-Generation-Formation durch den Sänger Saalik Ziyad – ebenfalls Mitglied im AACM Vocal Ensemble.

Was dieses Septett, das noch nie zuvor in Europa aufgetreten ist, auf die Bühne bringt, erinnert in seinen besten Momenten an die Performance-Qualitäten des Art Ensemble of Chicago. Wellenförmig breiten sich die Stücke aus, entwickeln einen scheinbar nie versiegenden Atem. Meditative Passagen, in denen sich Gesangsstimmen zu einem versunkenen Jazzgebet versammeln, kontrastieren mit hektischen, fast bebopartigen Passagen. Aus dickflüssigen Klangschichten stechen immer wieder Ben LaMar Gays spitze Trompetenkürzel hervor und verbünden sich mit den Saxophonlinien Fredrick Jacksons. Das "soul food", das Khari B. dazu mit seiner House-Music-geschulten Stimme serviert und nebenbei in eine Art "tänzerische Unruhe" übersetzt, schafft eine szenisch-dichte Atmosphäre. Auch die jüngste AACM-Generation vertraut auf den Ritual-Charakter ihrer Musik: Rein instrumentaler Ausdruck auf stimmähnlich modulierten Blasinstrumenten, Rufe, Schreie, perkussive Signale, Stimmfetzen, Gedichte, Gesang und kontrastive Geräusche – all das schafft ein rätselhaft-komplexes Klangkontinuum.
AACM 'NOW' GENERATION InFlac

Ben LaMar Gay | tp, voc, electronics, comp
Coco Elysses | perc, voc, comp
Discopoet Khari B | spoken word poetry, voc, comp
Fredrick Jackson Jr. | woodwinds, voc, comp
Jerome Croswell | trap drums, voc, comp
Saalik Ziyad | voc, comp
Tomeka Reid | cello, voc, comp

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GREAT BLACK MUSIC – ANCIENT TO THE FUTURE!
AACM VOCAL ENSEMBLE
"Mouth Percussion" – die Fähigkeit, allein mit dem Atem, der Stimme und dem Mund rhythmische Muster zu erzeugen, wurzelt tief in der afrikanischen Musiktradition. Das AACM Vocal Ensemble greift bewusst auf diese archaischen Techniken zurück und erweckt so das AACM-Motto "Ancient to the Future" zu neuem Leben. Mal klingt das Quartett wie eine vokale Rhythmusmaschine, dann wieder glaubt man, in ihrem melodischen Schnalzen, Zischen und Schnattern zwischen Naturlauten, Tierstimmen und menschlichen Gesängen nicht mehr unterscheiden zu können.

Taalib-Din Ziyad und sein Sohn Saalik Ziyad haben sich mit den Sängerinnen Ann E. Ward und Dee Alexander verbündet, um den Jazzgesang zu revolutionieren. Während der sanfte Bariton von Saalik nicht zuletzt aus der klassischen Balladentradition schöpft, wird die Stimme von Taalib immer wieder mit der Bassstimme des in der 'black community' noch heute hochverehrten Bürgerrechtlers, Schauspielers, Sängers und Sportlers Paul Robeson verglichen. Saalik begann im Alter von sieben Jahren seine Gesangsfähigkeiten zu entdecken, die er zunächst im Chicago Children’s Choir erprobte. Nach einem weiterführenden Studium an der Northern Illinois University begann sein "lebenslanges Lernen", als er sich Ende der Neuziger der AACM anschloss.

Auch Saalik Ziyad erhielt nach ersten Chor-Erfahrungen eine Ausbildung als klassischer Sänger an der Chicago Music School. Doch nachdem er das Album "John Coltrane and Johnny Hartman" gehört hatte, war er von den Möglichkeiten des Jazzgesangs fasziniert. 1991 schloss er sich der AACM an und leitete dort zunächst das Trio 7th Sphere. Seine Kollegin, die Sängerin Ann E. Ward, wurde dagegen in ihrer Kindheit vor allem durch die Musikalität schwarzer Gottesdienste und durch die Stimmkraft von Theateraufführungen sozialisiert. Bevor sie ihren eigenen Gesangsstil im Ensemble der Ken Chaney Experience weiter kultivieren konnte, verlegt sich Ann E. Ward zunächst auf das Studium von Piano und Orgel. Ende der 90er begann Sie dann, an der AACM School of Music zu unterrichten, wo sie auch ihre Gesangskollegin Dee Alexander kennen lernte. Dee gilt als die vielseitigste Stimmartistin des AACM-Zirkels. Berührungsängste kennt sie keine, denn sie oszilliert in ihrem Vokalstil beständig zwischen Gospel, Rhythm’n’Blues, Jazz und Neo-Soul. So wurden ihre brillanten Scat- und Swing-Fähigkeiten immer wieder in Bands von Ahmad Jamal, David Sanborn, Earl Klugh oder Joshua Redman abgerufen.

"African Chants – American Songs" – vielleicht lässt sich so das Programm des AACM Vocal Ensemble am besten umschreiben. Auch für diese Gruppe gilt das Diktum des Gründungsvaters Muhal Richard Abrams: "Unser Zusammenhalt ist so stark, weil wir einander als Individuen respektieren."
AACM VOCAL ENSEMBLE In Flac
Ann E. Ward | voc
Dee Alexander | voc
Saalik Ziyad | voc
Taalib-Din Ziyad | voc

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"Groove, Bass, Dub" Von Dam-Funk bis On-U Sound
Mit Michael Miesbach

Fast alles in der heutigen "Nachtsession"-Ausgabe wird sich um Grooves, Bässe und Dubs drehen, um wiederentdeckte, neu entdeckte und z.T. auch bislang unentdeckte Varianten ganz unterschiedlicher Art - um Varianten z.B. auch, die sich immer wieder neu erfinden, von analogem Synthesizer Funk des kalifornischen Produzenten Dam-Funk bis hin zum neu belebten Dub-Techno aus Berlin, der im Umfeld des dortigen Hidden Hawaii Labels aufblüht. Zu hören gibt es außerdem Neues vom griechischen Multiinstrumentalisten Larry Gus, Freestyle-Beats vom ehemaligen Dubstep-Pionier Kode9, hypnotische Live-Jams des ägyptischen Trios EEK und eine neue Werkschau von DEGEM, der Deutschen Gesellschaft für Elektroakustische Musik e.V..
Playlist
Groove, Bass, Dub

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Freitag, 30. Oktober 2015
VINCENT PEIRANI & EMILE PARISIEN DUO: "BELLE ÈPOQUE"
Zwei Djangos können nicht irren. Beide Musiker wurden schon mit dem "Prix Django Reinhardt" geehrt, und nicht nur mit dieser renommierten Auszeichnung. Der Akkordeonist Vincent Peirani, Mitte 30, ist in Frankreich bereits seit zwei Jahren der Shooting Star der Jazzszene, etwa das, was Michael Wollny der hiesigen Gemeinde bedeutet. Ähnliches gilt für den Saxophonisten Emile Parisien, knapp über 30, der wie Peirani in den unterschiedlichsten musikalischen Zusammenhängen immer neue Lorbeeren erntet. Wenn bei Peirani gar von einem "Jahrhundert-Talent" geschwärmt wird, dann gehen der Presse da vielleicht ein bisschen die Gäule durch, aber wer ein Duo-Konzert der beiden erlebt hat, der kann in Anbetracht dieser überschäumenden Virtuosität und Spiellust gar nicht anders, als bislang unerreichte musikalische Dimensionen zu bescheinigen.

Die beiden wechseln ganz unverstellt mit schlafwandlerischer Intuition zwischen ätherischer Meditation und flirrender, geradezu rauschhafter Intensität. Ihre Zwiegespräche schaukeln sich nicht selten hoch zu hyperdynamischen Parforce-Ritten, wenn sich die beiden in eigenen Stücken austauschen oder sich vor Sidney Bechet und dessen "Egyptian Fastasy" verneigen, mit "Dancers In Love" bei Duke Ellington klingeln und Irving Mills mit "St. James Infirmary" einen Besuch abstatten. Ihre stupende Technik explodiert immer wieder. Aber nicht um ihrer selbst willen. Hier werden keine Geläufigkeits-Meisterschaften abgehalten, da geht ganz einfach der spielerische Enthusiasmus mit den beiden durch.

Das fiebernde Sopransaxophon von Parisien zitiert ganz nebenbei alle möglichen Klang-Facetten von Bechet, Coltrane, Steve Lacy und Wayne Shorter – und legt dann immer noch etwas oben drauf. Peirani entlockt seinem "Wunderkasten" fortwährend neue Farben und Nuancen, die man auf einem Akkordeon noch nicht erlebt zu haben meint. Die große französische Akkordeon-Tradition von Richard Galliano und Jean-Louis Matinier wird hier aufgegriffen, weitergetragen und nicht selten überholt. Bei Autoreifen nennt man das Runderneuerung: danach greifen sie wieder gut, haben besondere Haftwirkung. Peirani und Parisien greifen musikalisch nach allem, was sie berührt, stilistisch und genrebezogen sind sie offen, frei von irgendwelchen Scheuklappen. Da greift eine fast musikantische und deshalb erfrischende Unbedarftheit – das passiert allerdings auf einem atemberaubenden musikalischen Niveau.
VINCENT PEIRANI & EMILE PARISIEN DUO: "BELLE ÈPOQUE" In Flac
Vincent Peirani | acc
Emile Parisien | ss

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