radiohörer - der blog für radiofans
Freitag, 30. Oktober 2015
MICHAEL MANTLER & hr-BIGBAND: "JAZZ COMPOSER’S ORCHESTRA UPDATE"
Der einstige Visionär kehrt zurück: Mit dem Album "The Jazz Composer’s Orchestra" hat der Komponist und Trompeter Michael Mantler 1968 einen bahnbrechenden Klassiker des modernen Jazz geschaffen. Der Österreicher, der damals in den USA lebte und ein langjähriger Partner von Carla Bley wurde, leitete seinerzeit ein großes Orchester, in dem einige Ikonen der damaligen "free playing"-Szene versammelt waren: vom Pianisten Cecil Taylor über den Kornettisten Don Cherry bis zum Posaunisten Roswell Rudd, von Larry Coryell an der Gitarre bis zu den Tenoristen Pharoah Sanders und Gato Barbieri. Obwohl das Original noch heute, fast ein halbes Jahrhundert nach der Aufnahme-Session, ausgesprochen frisch klingt, kam Mantler beim Digitalisieren seiner alten Aufnahmen die Idee, das Material nach einer gründlichen Überarbeitung mit zeitgenössischen Musikern neu aufzunehmen.

Dabei ging es ihm aber keineswegs um ein "Re-do", sondern um ein "Update", wie er es nennt: Die aus den 60er-Jahren stammenden Kompositionen wurden für das 21. Jahrhundert neu aufbereitet. Die damaligen Partituren waren auf die gravitätischen Neuerer wie Sanders und Taylor zugeschnitten, jetzt sollte der Anteil an freier Improvisation zugunsten von ausgeschriebenen Passagen begrenzt werden. Mantler ging es nicht darum, irgendwelche Imitatoren der Stimmen seiner damaligen Solisten zu finden, bewusst wollte er sich davon absetzen. Mit der Wiener Big Band Nouvelle Cuisine, ihrem Leiter Christoph Cech und dem Streicher-Ensemble radio.string.quartet.vienna spielte Mantler 2013 sein "The Jazz Composer’s Orchestra Update" im Wiener Club „Porgy & Bess“ neu ein. Die im letzten Jahr bei ECM erschienene CD ist wiederum ein Meilenstein des orchestralen Jazz.

So wie bei Mantler klingt kein anderes Jazzorchester weltweit – nicht unbedingt wegen der dort versammelten Solisten, sondern vielmehr wegen der einzigartig nuancierten Tonsätze, die Mantler geschrieben hat. Sie sind inspiriert von der klassischen europäischen Avantgarde-Musik, sie haben die Komplexität von Neuer Musik. Aber sie sind in der Kombination von Partiturarbeit und jazz-bezogener Improvisation, trotz ihrer kompakten Dichte und labyrinthischen Verwobenheit ausgesprochen unakademisch und vital. Schöner als hier lässt sich musikalisch kaum ein kalter Schauer über den Rücken jagen.

Mit diesem musikalischen Material von Michael Mantler betritt die hr-Bigband, die wahrlich schon so einige Sujets erfolgreich bearbeitet hat, tatsächlich fremden Boden und versucht, neue musikalische Territorien zu erobern. Für das Konzert auf dem Deutschen Jazzfestival Frankfurt bringt Mantler das elektro-akustisch bewanderte radio.string.quartet.vienna mit, ebenso den jungen Wiener Tasten-Derwisch David Helbock und mit dem Gitarristen Bjarne Roupé einen langjährigen Interpreten der Kompositionen von Michael Mantler. Die Haupt-Solisten an den Saxophonen sind Tony Lakatos und ein Mann, dessen Mitwirkung allein schon eine kleine Sensation ist: Peter Brötzmann, der große Vorsitzende des freien Spiels der Kräfte in Deutschland und weltweit, ist durchaus schon mal in den frühen Jahren mit Mantler auf der Bühne gewesen. Dass er bei diesem speziellen Festival-Projekt mit der hr-Bigband zusammen auf der Rampe steht, das allein schon lässt eigentlich jedem große Ohren wachsen.

Michael Mantler | comp, tp
Christoph Cech | cond
Peter Brötzmann | reeds
Tony Lakatos | reeds
Bjarne Roupé | g
David Helbock | p

radio.string.quartet.vienna
Bernie Mallinger | violin
Igmar Jenner | violin
Cynthia Liao | viola
Sophie Abraham | cello

Frank Wellert | tp
Martin Auer | tp
Thomas Sonnen | french horn
Maciej Baranowski | french horn
Christian Jaksjø | tb
Manfred Honetschläger | b-tb
Wolf Schenk | tuba
Stefan Karl Schmid | ss, fl
Oliver Leicht | ss, cl
Heinz-Dieter Sauerborn | as, fl
Benjamin Steil | as, cl, bcl
Steffen Weber | ts, fl
Rainer Heute | bs

Nina Hacker | b
Thomas Stabenow | b
Thomas Heidepriem | b
Jean Paul Höchstädter | dr

MICHAEL MANTLER & hr-BIGBAND: "JAZZ COMPOSER’S ORCHESTRA UPDATE In Flac

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Donnerstag, 29. Oktober 2015
"Der gläserne Anschlag" Die Pianistin Carla Bley
Ihre lange Karriere ist gekennzeichnet von einer erfrischenden Inkonsequenz und einer erstaunlichen Unberechenbarkeit, die ihre Musik ebenso ein- wie ausladend macht.
Ihre Musik kann durchsichtig sein, ihre Wirkungsabsichten transparent, wie die Protestsongs, die sie für Charlie Hadens "Liberation Music Orchestra" schrieb. Aber wie Glas kann ihr Klang auch klirren und bis an die Schmerzgrenze gehen. In diesem Spannungsfeld zwischen Schönklang und dem Ausreizen der Grenzen bewegt sich Carla Bley. In WDR 3 Jazz stellen wir einen Ausschnitt aus der Bandbreite ihres Oeuvres vor und präsentieren Live-Mitschnitte der fast 80-jährigen Jazz-Komponistin und Bandleaderin.
Carla Bley In Flac

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"Die 108 Begierden" Von Stefan Winter
In Japan bezeichnet das joya-no-kane die nächtlichen 108 Glockenschläge im Tempel, die das alte Jahr verabschieden (107 Glockenschläge im alten Jahr und einer nach Mitternacht).
Nach buddhistischem Glauben symbolisieren die Schläge die 108 weltlichen Begierden (Bonno) des Menschen, wie z.B. Rauflust oder Eifersucht. Mit dem Ausklingen der einzelnen Klänge werden die Begierden vertrieben und man kann neu beginnen. Stefan Winter inszeniert das Ritual mit 108 verschiedenen MusikerInnen und KünstlerInnen unterschiedlichster Provenienz.

Stefan Winter, geboren 1958 am Tegernsee, überlebte Klosterinternat, Kochlehre und Studium der Jazzmusik in Köln und Bern. Erstes eigenes Album 1984. 1985 gründete er sein eigenes Label JMT – Jazz and Music Today. Lebt und arbeitet heute in München als Produzent seines für vielfältige Programmpolitik ausgezeichneten Labels Winter&Winter, auf dem neben Hörbüchern auch Produktionen von Komponisten wie Barry Bermange, Fred Frith, Mauricio Kagel und Jim Black erscheinen.
Die 108 Begierden
Realisation: der Autor
Produktion: WDR 2015

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Donnerstag, 29. Oktober 2015
"Imaginarium des zarten Klangs" Ein Portrait der Harfenistin Kathrin Pechlof
Von Michael Kuhlmann
Die Harfe und der Jazz - das scheint ungefähr so gut zusammenzupassen wie der Jazz und die Balalaika oder das Clavichord. So muss man Harfenisten in der 100-jährigen Geschichte dieser Musik denn auch mit der Lupe suchen. Seit Kurzem aber haben Jazzmusikerinnen begonnen, auch das Potenzial dieses Instruments zu entdecken. Zum Beispiel Kathrin Pechlof: Sie hat sowohl klassische Harfe als auch Jazzkomposition studiert und fühlt sich heute in beiden Welten zu Hause. In ihrem Sextett mit fünf hochkarätigen Jazzmusikern der jungen deutschen Szene schafft sie ein Miteinander der leisen Harfe mit von Haus aus lauten Instrumenten wie Blechbläsern und Saxofon. In einem Trio mit Saxofon und Bass, mit dem sie das Album 'Imaginarium' veröffentlicht hat, dampft sie ihre Ideen gleichsam ein und lässt Spannungsfeldern zwischen zarter Melodiosität und harmonischen Abstraktionen viel Raum. Ihre Kompositionen bringen Anmutungen aus der klassischen und Neuen Musik mit der Spontaneität des Jazz zusammen. Sie zeigen, wie viel Energie und Drive selbst in Klängen am Rande zur Stille mitschwingen können.
< a href="http://depositfiles.com/files/yzdcv59q2">Imaginarium des zarten Klangs

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Dienstag, 27. Oktober 2015
Marc Ribot - Playing the right wrong notes (!!!)
Gestaltung: Michael Neuhauser
Eigentlich wollte er Trompeter werden, doch wegen einer Zahnspange stieg er auf die Gitarre um, auf der er sich wiederum als Linkshänder nicht immer ganz leicht tat. Die besondere Mühe beim Üben und sein konzeptioneller Zugang zur Musik im Allgemeinen haben sein Gitarrenspiel einzigartig und unverkennbar werden lassen, obwohl er von Klassik bis Avantgarde Jazz, von kubanischer Musik bis Rock in so ziemlich allen Bereichen aktiv ist (und wohl ganz bewusst in keinem davon wirklich daheim!).
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Marc Ribot

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"Voices beyond the Edge" Von Nicola Sani
Produktion: DLR Berlin 2000
uf den Spuren von Luigi Nono sucht Nicola Sani nach einer neuen dramaturgischen Funktion der Vokalität.
Nicola Sani widmete dieses Stück dem italienischen Komponisten Luigi Nono zu seinem 10. Todestag. Auf Nonos Spuren, damals kompositorischem Neuland, hat Sani seine eigene musikalische Sprache gefunden. "Das Stück geht von der Suche nach einer neuen dramaturgischen Funktion der Vokalität aus. Die Folge der Texte stellt keine abgeschlossene Erzählung dar, sondern steckt Töne, musikalische Abläufe ab, die per Assoziation oder Kontraposition poetischen Gedankenketten folgen, von der Antike bis zu unserer Zeit. Es ist eine innere Meditation, eine persönliche Widmung an die kulturelle Welt, in der ich ausgebildet wurde und die von großer Bedeutung für meine Ausdrucksprache ist." (Sani)
Voices beyond the Edge In Flac

Nicola Sani, 1961 in Ferrara geboren, Komponist und Regisseur, lebt in Rom. Künstlerische Zusammenarbeit mit Michelangelo Antonioni, Nam June Paik, und Fabrizio Plessi. Zuletzt für DKultur: 'Diotima e Euridice' (2005).

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"Fleiß und Industrie" Jazz und die Klangwelt der Maschinen
Von Harry Lachner
Digitale Musikprogramme, die Erfindung und Verbreitung des Samplers haben es sehr einfach gemacht: Brauchten die Komponisten der Musique Concrète noch kilometerweise Bandmaterial und einen Maschinenpark an elektronischen Gerätschaften, lässt sich heute jeder beliebige Klang speichern und manipulieren. Die Möglichkeiten sind nahezu unendlich. Es scheint daher auf den ersten Blick paradox, dass Musiker und Komponisten gerade mit den Klängen industrieller Maschinen arbeiten - wie etwa Annie Gosfield oder zuletzt Mathias Delplanque, Attilio Novellino und Saverio Rosi; dass mit Computerprogrammen Assoziationen an eine scheinbar vergangene Welt geweckt werden, die von der Mechanik dominiert wurde: virtuelle Maschinenmusik ohne jeden nostalgischen Anstrich. Vielmehr wird hier noch einmal die Körperlichkeit der Musik, werden die insistierenden Rhythmen beschworen, die den Körper im industriellen Zeitalter ("Modern Times") formten und beherrschten.
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Fleiß und Industrie nach hören in Flac
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"In The Pelagic Zone" Elliott Sharp taucht mit "Studio Dan" ins tiefe Wasser
Der in New York lebende Komponist und Multi-Instrumentalist Elliott Sharp schreibt für besondere Anlässe immer wieder größere Werke. Bei einem "Jeunesse special" in Wien realisierte Sharp 2011 gemeinsam mit "Studio Dan", einem Wiener Ensemble für experimentelle Improvisationsmusik, seine rund vierzigminütige Suite "In The Pelagic Zone". Als "pelagische Zonen" werden jene Bereiche in Gewässern bezeichnet, die weder zu nahe am Meeres- oder Seeboden liegen noch zu nahe an den Küsten – also die offene See. Darauf reflektierte der amerikanische Multi-Instrumentalist und Komponist Elliott Sharp in seiner Suite "In The Pelagic Zone", in der er Kompositorisches mit Improvisatorischem verknüpft. Nicht nur führt Sharp das Wiener "Studio Dan" rhythmisch in unruhige Gewässer, sondern auch klangfarblich scheint er – in unterschiedlichen Besetzungen – gleichsam ins tiefe Wasser zu tauchen, so wie sich die verschiedenen Schichten des Pelagials je nach Tiefe und Lichteinstrahlung farblich verändern. Vor kurzem ist das Projekt nun auch auf einer CD der "Jazzwerkstatt Wien" erschienen.

In The Pelagic Zone In Flac

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Montag, 26. Oktober 2015
"Macht kaputt…" Musik von Arbouretum bis Cocorosie
Mit Karl Bruckmaier

Auch aus Trümmern kann man schöne neue Musik basteln: Dave Heumann von der Band Arbouretum tut dies seit zehn Jahren und stellt am 14. November seine Soloplatte "Here in the Deep" bei einem Lounge Konzert vor. Und dieser Nachtmix soll so richtig Lust zum Einschalten machen, deswegen hören wir auch Musik von Pontiak, CocoRosie und Family Fodder.
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Macht kaputt...

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Stephan-Max Wirth Experience Live 2015
Der in Berlin lebende Saxofonist und Komponist Stephan-Max Wirth gehört eher zu den stilleren Musikern der hauptstädtischen Szene. Er spielt nicht jede Woche in einem der einschlägigen Clubs. Er macht sich durchaus rar und lässt nur dann von sich hören, wenn er etwas Neues zu sagen hat. Anfang 2015 erschien unter dem Titel "The Inner Draft" das jüngste Album seines deutsch-niederländischen Quartetts, das einmal mehr die enorme Energie und musikalische Fantasie dieser seit Jahren zusammenspielenden Band unterstreicht.
Teil 1 des Konzertmitschnitt vom 10. April 2015, Berlin, Kunstfabrik SCHLOT
Stephan-Max Wirth Experience Teil 1
Stephan-Max Wirth Experience Teil 2

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