radiohörer - der blog für radiofans
Samstag, 17. Oktober 2015
"Tanzstunde" Musik von Flanger, Fat Freddy's Drop, !!! oder Ant Orange.
Mit Judith Schnaubelt

Nach der langen ARD-Radionacht der Bücher wird in der Nachtsession heute wenig getextet und gedichtet, sondern getanzt und geschwooft; zum Auslüften der grauen Gehirnzellen und zur Lockerung verkrampfter Muskelpartien. Flangers neues Album "Lollopy Dripper" eignet sich vortrefflich zum Tanzen, denn Burnt Friedman und Uwe Schmidt alias Senor Coconut experimentieren wieder mal elektronisch mit Tango, Samba oder Swing. Einen Track haben Flanger "Körperspannung"genannt und die ist vor allem sehr wichtig beim Standardtanzen. Zu einer Bigband aus Neuseeland lässt es sich auch wunderbar grooven: Fat Freddy's Drop nennen ihr neues Album "Bays" und sie werden hierzulande im November auch live aufspielen. Ein echter Tanzbodenfüller ist das neue Album "As if" von !!!. Auf St.Germains Comeback-Set "St.Germain" findet sich der ein oder andere afrikanisch inspirierte Tanz-Track und Ant Orange verneigt sich in Berlin vorm großen Detroit Housemeister Theo Parrish auf "Yesterday". Ganz fein. Unter glitzernder Kugel sehr funky in der Indiedisco, das sei unser Motto heute Nacht.
Tanzstunde

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Freitag, 16. Oktober 2015
"The Sidewinder" Der Trompeter Lee Morgan
Mit seiner mühelosen, virtuosen Technik und seinem vollen, geschmeidigen und kraftvollen Ton war Lee Morgan (1938-1971) einer der großen Jazztrompeter der 1960er Jahre. Sein Spiel war emotional geladen, überschwänglich in Up-Tempo Grooves, glühend in Bop-orientierten Darbietungen oder seelenvoll in Balladen.
Bereits mit 15 spielte Morgan professionell, mit 18 wurde er Mitglied im Orchester von Dizzy Gillespie. Nach zwei Alben unter eigenem Namen wechselte der Trompeter zu Art Blakey’s Jazz Messengers, mit denen er ausgiebig auf Tournee ging und Platten einspielte. Drogenprobleme veranlassten ihn, die Band nach drei Jahren zu verlassen. 1963 war Morgan zurück auf der Szene und spielte das Album The Sidewinder ein, dessen Titelsong in die Popcharts aufstieg und die erfolgreichste Periode in der Karriere des Trompeters einläutete. Nach 25 eigenen Plattenalben, 20 mit Art Blakey und einem guten Dutzend weiteren mit Jimmy Smith, Wayne Shorter, Hank Mobley u. a. wurde Lee Morgan von seiner Freundin erschossen. Hans W. Ewert erinnert in WDR 3 Jazz an einen der großen Trompeten-Stilisten des Jazz.
Lee Morgan In Flac

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"A94 - Beats für Jörg Fauser" Szenische Collage mit Texten des deutschen Schriftstellers (!!!)
Von Stefan Weber
Er begegnet mit 20 Jahren in London das erste Mal den harten Drogen und der Anarchie. Den Zivildienst bricht er ab und flüchtet ins Junkie-Viertel von Istanbul, sein erstes Buch "Tophane" 1972 legt bitteres Zeugnis ab von jener Zeit. Ein Jahr später folgt "Die Harry Gelb Story": Lautloser Schrei seiner verzweifelten Seele und kaum jemand will den Underground-Poeten lesen.

Seine Favoriten sind Jack Kerouac, William S. Burroughs und Charles Bukowski. Der Alkohol hat inzwischen die Drogen ersetzt und er schreibt sich mit Essays, Hörspielen und Reiseberichten mehr schlecht als recht durch die 1970er Jahre. Es ist die "gehobene Unterhaltung", mit der er bekannt wird. Mit dem Krimi "Der Schneemann" landet er 1981 seinen ersten Erfolg. Der plötzlich vom deutschen Feuilleton als Pop-Autor gefeierte Fauser meint nun: "Ich bin für die Unterhaltung zuständig. Writing is my business". In seinem letzten Roman "Rohstoff" aber schreibt Jörg Fauser nochmal sein ganz anderes, schwarzes Leben nieder und knüpft da an, wo er immer hat hinkommen wollen, ohne zu wissen, dass das Ende bereits nahe ist: "Andere hatten Muskeln oder Moneten oder hübsche Ärsche, um in der Hölle zurechtzukommen. Schriftsteller hatten ihre Mythen. Dachte ich."

Am 17. Juli 1987, in der Nacht nach seinem 43. Geburtstag, wird er auf der Autobahn A94 von einem Lastwagen überfahren. Als Fußgänger betrunken umherirrend.
A94 - Beats für Jörg Fauser

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"Allein, aber nicht einsam ..." Musik von Lou Barlow bis Patty Griffin
Mit Karl Bruckmaier

Einige bewährte Songwriter-Persönlichkeiten versuchen sich diesen Herbst neu zu erfinden, mit durchaus ansehnlichem Erfolg - auch wenn sie sich im Endefekt alle recht ähnlich bleiben... Robert Forster schreibt seine Patent-Songs fort, Josh Rouse kommt ins Grübeln, Lou Barlow bleibt ein Wuschel und Patty Griffin tut den Blues für die gehobenen Stände. Und als Altmeister grüßt Neil Young.
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Allein, aber nicht einsam ...

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Freitag, 16. Oktober 2015
"Deutschland, einig Liederland..."
Ein deutsch-deutscher Liedermacherabend zum 25. Jahrestag der Wiedervereinigung
Mit Felix Meyer feat. Erik Manouz und Wenzel & Band
Stadthauptmannshof, Mölln
Aufzeichnung vom 02.10.2015
Mit Wenzel und Felix Meyer stehen unterschiedlich sozialisierte Liedermacher zweier Generationen auf der Bühne: Der eine, Wenzel, ist im Juli 60 Jahre alt geworden und galt schon in der DDR als streitbarer Vertreter seiner Zunft. Zwei LPs darf er in Ostberlin produzieren. Erst nach der Wiedervereinigung startet er richtig durch. Auszeichnungen, eigenes Label, teilweise mehrere Alben pro Jahr. Wenzel erobert spätestens mit dem Album 'Schöner Lügen' 1999 nach und nach auch viele Bühnen in den so genannten alten Ländern. Ein ostdeutscher Liedermacher bleibt er trotzdem. Der andere, Felix Meyer, wird im Dezember 40. Er ist in Westberlin und in Bayern aufgewachsen und kommt über die Fotografie zur (Straßen-)Musik. Als die Mauer fällt, ist er 14 Jahre alt. 2010 erscheint sein Debütalbum 'Von Engeln und Schweinen', zwei weitere Alben folgen. 'Menschen des 21. Jahrhunderts' ist sein aktuelles. Er ist in Ost und West gleichermaßen bekannt. Ein (gesamt-)deutscher Liedermacher. Beide verbindet die Fähigkeit, mit wortgewandter, bildhafter Poesie von der Wirklichkeit zu singen, ohne dabei vor Belanglosigkeit und Banalität ins Gewöhnliche zu gleiten.
Deutschland, einig Liederland...

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"Ben Harper & The Innocent Criminals"
Konzertmitschnitt vom 4. März 2006, Radio Bremen-Sendesaal, Bremen
Bereits 1994 ging Ben Harper mit seiner Band auf große Konzerttournee durch Nordamerika und Europa. Sein Musikstil reicht von Reggae und Blues bis zu verschiedenen Rock-Spielarten. Wir senden einen Ausschnitt aus seinem Konzert, das er im März 2006 im Radio Bremen-Sendesaal gab.
Zu Beginn seiner Karriere war Ben Harper als Solist aufgetreten. Als er Mitte der neunziger Jahre seinen internationalen Durchbruch erlebte, hatte der Singer/Songwriter aus Südkalifornien eine feste Trio-Besetzung gefunden. Stilistisch reichte seine Palette schon damals von der klassischen Songwriter-Attitüde über Reggae und Blues bis hin zu verschiedenen Rock-Spielarten.

Im Zuge der folgenden Jahre wuchsen die "Innocent Criminals" zu einer mittelgroßen Formation an. So bestritt Harper im Frühjahr 2006 auch das Radiokonzert in Bremen. Wenig später sollte sich der vielseitige US-Amerikaner neu orientieren. Da schlug er vorübergehend härtere Gangarten ein und erlaubte sich einen entscheidenden Schritt in Richtung Blues.
Ben Harper & The Innocent Criminals

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"Joco / Golden Kanine" Konzertmitschnitte vom 24. Juli 2015, Schlossplatz, Oldenburg
"Joco" ist ein beseeltes Song-Duo aus der Region. Josepha und Cosima Carl stammen aus Veenhusen in der Nähe von Leer. Das Schwesternpaar hat gemeinsam Musik studiert. Mittlerweile sind die beiden nach Hamburg gezogen. Ihr zweites Album "Horizon" konnten sie in den "heiligen Hallen" der Abbey Road-Studios in London aufnehmen. Scheinbar unzertrennlich sind Cosima (Gesang, Keyboard, Gitarre, Komposition) und Josepha (Gesang, Schlagwerk) nicht nur als Kreativgespann. Im feinen Gesangssatz der beiden spürt man die große Vertrautheit familiärer Verbundenheit.

Aus dem südschwedischen Malmö kommt die Gruppe "Golden Kanine". Auch das eigenwillige Indie-Folkrock-Sextett hat ein eng verbundenes Kreativgespann als Kern: Leadgesang, Saitenarbeit und Songwriting teilen sich Linus Lindvall und Andreas Olrog. Komplettiert wird die Gruppe seit einiger Zeit von einem Bläsersatz aus Deutschland. Ihr Auftritt auf dem Schlossplatz zeigte, dass "Golden Kanine" mit einer enormen stilistischen Palette aufwarten, die jedes Publikum erreicht.
Joco / Golden Kanine

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"Magical Mystery Tour" Musikalische Querverweise
Mit Michael Bartlewski

Wer hat mit wem eine durchzechte Nacht verbracht? Wer hat sich Produzent, Wohnung oder Tourbus geteilt? In der Nachtsession werden hintereinander nur Bands gespielt, die etwas miteinander verbindet - so entsteht innerhalb der zwei Stunden eine „Magical Mystery Tour“ des Pop - frei nach dem kleine Welt Phänomen. Sicher dabei: Songwriterkünstler wie Daniel Johnston, R. Stevie Moore, Mac de Marco oder Laetitia Sadier von Stereolab. Außerdem: Junge Elektronik-Produzenten aus Deutschland mit überraschenden Connections, zum Beispiel zu der Grunge-Sängerin Scout Niblett. Eine popmusikalische Reise mit ungewissem Ausgang.
Playlist
Magical Mystery Tour

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"Vom Chicago Underground nach Sao Paulo" Der Kornettist Rob Mazurek im Porträt
mit Harry Lachner

Während lange Zeit der Blick in Sachen Jazz ständig auf New York gerichtet war, hatte sich in den neunziger Jahren in Chicago eine eigenständige Szene entwickelt, die im Grenzgebiet zwischen Jazz und avancierter Rockmusik verblüffend neue Wege der Improvisationskunst aufzeigte. Eine zentrale Rolle spielte dabei der Kornettist Rob Mazurek.
Vielleicht hatte der Begriff "Underground" ja noch nicht so viel von seiner Bedeutung eingebüßt, als Rob Mazurek ab 1996 seine Projekte mit diesem Etikett versah: vom Chicago Underground Duo über das Quartet bis zum Orchestra. Seit seiner Übersiedelung nach Brasilien nennt er sein Ensemble Sao Paulo Underground. Mazurek verknüpft in seinen vielen Bands - vom Pulsation Quartet, dem Exploding Star Orchestra bis zu Isotope 217 und Starlicker - die Einflüsse eines Chicago-spezifischen Free Jazz auf verblüffend organische Weise mit Elementen anderer Genres: zunächst mit solchen des Post-Rock, schließlich mit Samba- und Bossa Nova-Fragmenten und Anklängen an die zeitgenössische elektronische Musik. Es sind Elemente, die einander ergänzen, und nicht einfach nur kontrastiv gegenübergestellt werden. Insofern besitzt "Underground" immer noch seine Bedeutung: als die Unterströmung eines Experimentierfeldes, das sich jeder begrifflichen Vereinnahmung widersetzt.
Vom Chicago Underground nach Sao Paulo

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"Cathedral's Fall" Von Arsenije Jovanovic
Terrence Malick hat die Klangkompositionen von Arsenije Jovanovic mehrfach als Soundtrack in seinen Filmen eingesetzt. Jetzt hat der 83-jährige serbische Soundscape-Altmeister eine sehr persönliche Meditation über die Schrecken des Krieges vorgelegt.
"Man könnte Cathedral's Fall eine Kriegsoper nennen, aber es handelt sich nicht um ein Schlachtengemälde. Es geht vielmehr um die geistigen und seelischen Auswirkungen von Kriegen. Während der letzten Balkankriege segelte ich einmal auf hoher See, als sich eines Tages ein kleiner Vogel auf meinem Boot niederließ. Er schien aus den Bosnischen Wäldern geflohen zu sein, in denen die Granaten explodierten. Der Vogel sah mich ängstlich an und ich schaute nicht weniger verängstigt zurück. Vermutlich ist die Arbeit an 'Cathedral's Fall' von diesem stummen Dialog mit dem Vogel inspiriert. Wenig später fand ich in Chioggia in der Lagune von Venedig im kleinen Laden des Sammlers Gianni Rugine einen Kinderbrief. Geschrieben in der Zeit, als die Alliierten auf der Apenninenhalbinsel in nördlicher Richtung vorrückten und nach heftigen Kämpfen schließlich auch Florenz eroberten. Der Brief der Kinder vom Weihnachtsabend 1944 richtet sich an abwesende Großväter, die offenbar irgendwo an der Front waren, oder in Gefangenschaft oder vielleicht bereits begraben. Er ist mit Zeichnungen von Donald Duck, Pluto und Micky Maus verziert. Für mich ist dieser Brief seit Jahrzehnten eines der wertvollsten Objekte, die ich besitze. Ich glaube, dass Texte zu Hörstücken nicht für intelligente Menschen geschrieben werden, sondern für diejenigen, denen es entweder an Phantasie mangelt oder die geistig träge sind." (Arsenije Jovanovic)
Cathedral's Fall In Flac
Arsenije Jovanovic, 1932 geboren in Belgrad, Theater-, Radio- und Fernsehregisseur. Als Audio-Künstler gilt sein besonderes Interesse den rein klanglich-musikalisch strukturierten Werken, hier hat er eine spezifisch radiophone Sprache entwickelt. Mehrere seiner Hörwerke wurden mit bedeutenden internationalen Preisen ausgezeichnet.

Realisation: der Autor
Produktion: Ö1/Radiotelevizija Srbije 2014

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