radiohörer - der blog für radiofans
Mittwoch, 19. August 2015
KochKunst: Das Auge isst mit - mit dem Ohr kocht man
Von FM Einheit und Siegfried Zielinski

Zwei Männer verbringen einen Tag in der Küche. Intuitiv werden Zutaten in Töpfen gemischt, mit Gedanken und Zitaten vermengt - und mit Musik gemixt. Denn komponieren ist wie kochen - fast.
FM Einheit, Komponist und Musiker (ehemals Einstürzende Neubauten), zerlegt, zerschneidet, klopft, schlägt, rührt, zupft, reibt, schabt, trennt, verbindet. Seine Küche in Tittmoning wird zur Percussion-Bühne und produziert die Kammermusik der Zubereitung eines Knochens mit Loch, den man in Mailand Osso Bucco nennt. Siegfried Zielinski, Medientheoretiker derzeit an der Universität der Künste in Berlin, begleitet ihn, mit Fragen zu den Ressourcen, den Quellen, den Inspirationen des Kochens, der respektvollen Behandlung von Lebensmitteln, dem Barbarentum industrieller (Fertig)Gerichte, die mehrfach Getötetes enthalten, der Poesie, die ein Sträußchen Basilikum zu entfalten vermag, dem ungeheuren Unterschied zwischen einem mechanischen Mörser und einem elektrischen Mixer.
Das Auge isst mit - mit dem Ohr kocht man

link

"The Art Of Doing Nothing" Der Trompeter Palle Mikkelborg
Der Däne Palle Mikkelborg ist ein Poet. Er lebt mit seiner Frau, der Harfenistin Helen Davies, auf dem Land mit Blick aufs Meer und versucht, den Einklang mit den Elementen und ihren Energien zu finden. Diese Haltung trägt auch seine Musik: als Improvisator mit Terje Rypdal, Nils-Henning Ørsted-Pedersen oder Jakob Bro, wie auch als Komponist der Suite "Aura", die er für Miles Davis schrieb.
Es war der Candyman - der Vater eines Schulfreundes und Inhaber eines Süßigkeitenladens unweit des Kopenhagener Vergnügungsparks Tivoli - der Palle Mikkelborg einst für die Trompete begeisterte. Der war damals zehn Jahre alt, die dänische Hauptstadt eine europäische Jazzmetropole, in der amerikanische Expatriate wie Ben Wester, Dexter Gordon und Stan Getz Heimat gefunden hatten. Als Jugendlicher begann der Autodidakt Mikkelborg, in den einschlägigen Clubs zu jammen, als Erwachsener spielte er mit Gil Evans und George Russell, leitete die Danish Radio Bigband und konnte sogar sein Idol Miles Davis als Gast einladen. Beim Label ECM prägte Mikkelborgs empfindsam-luftiger Ton in Aufnahmen mit Kollegen wie Terje Rypdal, Jon Christensen, Jan Garbarek den "nordischen Klang". Noch heute steigen ihm Erinnerungen an den Geruch von Lakritze und Schokolade in die Nase, wenn er etwa mit dem Trio des Gitarristen Jakob Bro oder in Duos mit Helen Davies oder Marilyn Mazur improvisiert.
Palle Mikkelborg

link

freejazzblog on air (6): One is the loneliest Number
Die Kunst des guten Solo-Albums
Julia Neupert im Gespräch mit Martin Schray
Free Jazz lebt häufig von Kommunikation, von der Faszination der Interaktion. Bei Solokonzerten und -aufnahmen fällt dieser Aspekt weg, was sie gleichzeitig schwierig und reizvoll macht. Es gibt niemanden, der einen auffängt oder der einem mit neuen Ideen weiterhilft, reagieren kann man nur auf das Publikum oder auf den Raum. Man ist alleine auf sich gestellt, quasi nackt, auch deshalb erfordert keine andere Konzertform eine solche technische, geistige und körperliche Präsenz. Wenn die aber gegeben ist, dann kann man sich selbst überraschen, "sich selbst zuhören und sich von sich selbst befreien und im selben Moment mit allem spielen was man in sich hat" (Pascal Niggenkemper). In solchen Momenten findet der Solokünstler einen roten Faden und weiß dann intuitiv, wohin er will. Julia Neupert und Martin Schray stellen in der sechsten Ausgabe von freejazzblog on air solche Momente vor.
One is the loneliest Number

Duke Ellington, Irving Mills, Manny Kurtz: In A Sentimental Mood/CD: Torturing The Saxophone (2014)
Mats Gustafsson
Martin Küchen: Ritual Defamation/CD: Hellstorm
Martin Küchen
Matana Roberts: Untitled 2/CD: Always
Matana Roberts
Pascal Niggenkemper: At Fortune's Alms/CD: Look With Thine Ears
Pascal Niggenkemper
Paal Nilssen-Love: Untitled 1/CD: Cut And Bleed (2015)
Paal Nilssen-Love
Stian Westerhus: Shine/CD: The Matriarch And The Wron Kind Of Flowers
Stian Westerhus
Eve Risser: Des Pas Sur La Neige/gleichnamige CD
Eve Risser

link

"Nachrichten vom Raumschiff Erde" Der amerikanische Visionär Buckminster Fuller
Von Michael Langer
Steuernummer, Name, Beruf ... ? Souveräne Staaten, so R. B. Fuller, verlangten Auskunft auf lächerliche Fragen. Wo wohnen Sie? Wann wurden Sie geboren? Buckys Antwort: "Ich bin unsterblich. Ich schaue alle Jubellichtjahre mal vorbei, mal hier, mal dort. Gerade bin ich Passagier des Raumschiffs Erde, das mit 60000 Meilen pro Stunde unterwegs ist irgendwo im Sonnensystem ... Aber warum fragen Sie?" Richard Buckminster Fuller (1895 - 1983) war Architekt und Ingenieur, Designer, Forscher und Erfinder. So gut wie vergessen ist sein Dymaxion Car, berühmt sind noch heute seine Geodätischen Kuppeln. Begriffe wie Synergie und Nachhaltigkeit, die inzwischen zu Phrasen verkommen sind, hat er entscheidend mitgeprägt. Fuller dachte global, vierdimensional, ganzheitlich und entwickelte kosmische Perspektiven. Eine Fundgrube sind nach wie vor seine späten Schriften, in denen er etwa zur allgemeinen Systemtheorie, zur regenerativen Landschaft oder auch zur integralen Funktion des Menschen Stellung nimmt. Der Titel des Buches, das 1969 erschien, lautet: 'Bedienungsanleitung für das Raumschiff Erde'.
Nachrichten vom Raumschiff Erde

link

Hörschwellen: "Sounds like Silence"
Von Inke Arns und Dieter Daniels
Mit: Meriam Abbas, Shaun Lawton und Gilles Chevalier
Produktion: Hartware MedienKunstVerein/ Deutschlandradio Kultur 2012
John Cages „stilles Stück“ 4‘33‘‘ und die Folgen.
John Cages Klavierstück '4'33''' revolutionierte vor über 60 Jahren das Verhältnis von Musik und Stille, von Kunst und Werk, von Künstler und Publikum. Während der drei Sätze I Tacet, II Tacet, III Tacet erklingt kein einziger intendierter Ton. 'There is no such thing as silence', sagte John Cage. Der üppige Klang der Stille offenbart sich erst beim genauen Hinhören. 2012 präsentierte der Hartware MedienKunstVerein (HMKV) in Dortmund anlässlich des 100. Geburtstags von John Cage historische und aktuelle Positionen zu '4'33'''. Aus der Ausstellung entstand eine Sendung der Kuratoren Inke Arns und Dieter Daniels, die wir im Rahmen der 'Klangkunst'-Reihe 'Hörschwellen' wiederholen.
Sounds like Silence In Flac
Inke Arns, geboren 1968 in Duisdorf/Bonn, Kuratorin und Autorin, künstlerische Leiterin des Hartware MedienKunstVerein (HMKV) in Dortmund. Lebt in Berlin und Dortmund.

Dieter Daniels, geboren 1957 in Bonn, Professor für Kunstgeschichte und Medientheorie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst (HGB) in Leipzig.

link

"Refuse, Reduce, Reuse" Eine Momentaufnahme der Konsumalternativen
Von Johanna Olausson
Regie: die Autorin
Mit: Stefanie Stremler, Marc Hosemann, Nadja Schulz-Berlinghoff, Martin Engler
Ton: Hermann Leppich
Produktion: Deutschlandradio Kultur 2014
Vom Foodsharing bis zum Kleiderkreisel - zwei Ex-Konsumisten suchen nach Alternativen zur Wegwerfgesellschaft.
Repair Café, Mundraub, Ouishare, Grabfruit, Social Muscleclub, Original unverpackt, Kunst-Stoffe, Leihladen Leila, Mundraub. "Wat ist denn dat?", fragt der Müllwerker hinter dem Steuerrad. An seiner Seite sitzt eine von Albträumen verfolgte junge Frau. Sie fahren in einem Müllauto zusammen irgendwo im 21. Jahrhundert herum und suchen nach Alternativen zur Wegwerfgesellschaft.
Refuse, Reduce, Reuse
Johanna Olausson, geboren in Göteborg, studiert zur Zeit dokumentarisches Erzählen, M.f.A. an der 'Stockholm Academy of dramatic arts'. Sie realisiert Features und Hörspiele für den deutschen und schwedischen Hörfunk. Zuletzt: 'Den Öfvre Sfären' (2015), ein Audiowalk, Tempo dokumentärfestival, Stockholm.

link

"Die Königsdisziplin" Trompeter und ihre klassischen Quartett-Aufnahmen
Von Odilo Clausnitzer
Mit Miles Davis, Lee Morgan, Wynton Marsalis u.a.

Es gibt wohl kein traditionelles Besetzungsformat, in dem ein Jazztrompeter so umfassend seine Fähigkeiten zeigen kann wie im Quartett mit Rhythmusgruppe. Als einziger Bläser steht er hier im Zentrum der Aufmerksamkeit. Für das technische Geschick, aber auch für das Gestaltungspotential und für die Ausdruckspalette ist das Quartettspiel die ultimative Bewährungsprobe. Viele Trompeter des modernen Jazz haben deshalb früher oder später, gleichsam als künstlerische Visitenkarten, Quartettaufnahmen vorgelegt. Während manche in diesem Rahmen bewusst ihre Virtuosität ausreizten, nutzte Miles Davis seine erste Quartett-Session unter eigenem Namen, um an seinem neuen, reduzierten und luftigen Spielkonzept zu feilen. Auch Quartett-Aufnahmen jüngerer Kollegen wie Kenny Dorham und Lee Morgan gerieten jeweils zu regelrechten Stilstudien. Und der wohl prominenteste zeitgenössische Jazztrompeter, Wynton Marsalis, machte gleich eine ganze Reihe von Quartett-Platten, mit denen er eindrucksvoll seine Klasse demonstrierte.
Playlist
Die Königsdisziplin

link

"Die Abflussrohre spuckten ihre Eisblöcke wie abgelutschte Bonbons auf den Gehsteig" Variationen über die Zeit (!!!)
Hörspiel von Ingo Schulze

Menschen in Momenten des Glücks oder des schicksalhaft unglücklich verlaufenden Missverständnisses, Menschen an den Kreuzungslinien von Zufall oder eingebettet in Traditionen und Erinnerungen - diese Menschen, ob in Sankt Petersburg, in Altenburg, Berlin oder Rom suchen ihre Orientierung in der Konfrontation mit den so einfachen wie gewichtigen Dingen des Lebens: Liebe und Freundschaft. Sie tragen die Erfahrung der deutschen Wiedervereinigung in sich; das Geschehen spielt von den 1990er-Jahren bis in die Gegenwart.
Zusammen mit der Musik, die von Anton von Webern bis zu John Cage oder Howard Skempton reicht, gespielt vom Ensemble Modern, ersteht eine Korrespondenz von prosaischer wie musikalischer Erzählung. Sie lässt die Geschehnisse nach 1990 plötzlich wie eine Fortsetzung von Erfahrungen aufleuchten, die seit den avantgardistischen Strömungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts ihren künstlerischen Ausdruck suchen.
"Die ausgewählten Kompositionen für Ingo Schulzes Hörstück spannen einen Bogen der letzten 100 Jahre musikalische Zeitgenossenschaft. Weberns kurze Cellostücke von 1914 werden in einen modernen Zusammenhang eines Gespräches zur Gentechnologie gestellt, Johnsons aparte konzeptionelle Harfe-Klavier Duos aus den 80iger Jahren dienen als musikalische Gedankenstriche zu literarischen Überlegungen zum Zeitfluß. Sogar die "freien" 60iger Jahre scheinen auf, wenn sich Sprachfetzen der Darsteller mit musikalischen Motiven aus Cardew "autumn 60" mischen. Die nahezu rein akustischen Module Kretzschmars schaffen ein Bindemittel dramaturgischer Bedeutungen, ein Wechselspiel von Musik und Text stellt sich ein." (Hermann Kretzschmar)
Ingo Schulze, geboren 1962 in Dresden, lebt in Berlin. Mit seinen Prosaarbeiten und seinen zeitkritischen Essays gilt er als eine der wichtigsten Stimmen der deutschen Literatur nach 1990. Auszeichnungen: Alfred-Döblin-Förderpreis und Aspekte Literaturpreis (1995), Preis der Leipziger Buchmesse (2007), Bertolt-Brecht-Preis (2013).
Mit: Judith Engel, Thomas Thieme und Sylvester Groth
sowie dem Ensemble Modern mit Valentin Garvie: Trompete; Johannes Schwarz: Fagott; Michael M. Kasper: Violoncello; Ueli Wiget: Harfe; Rainer Römer: Woodblocks, Snare, Vibraphon, Pauke; Hermann Kretzschmar: Klavier, Sampler
Komposition: John Cage. Cornelius Cardew, Hans Werner Henze, Tom Johnson, Hermann Kretzschmar, Erwin Schulhoff, Howard Skempton, Anton von Webern
Regie: Hermann Kretzschmar
(Produktion: SWR/Ensemble Modern 2015)
Die Abflussrohre spuckten ihre Eisblöcke wie abgelutschte Bonbons auf den Gehsteig In Flac

link

Montag, 17. August 2015
Stromlinie [66] live: Mark Lorenz Kysela/Jörg Koch
Mark Lorenz Kysela hat sich als Saxofonist auf zeitgenössische Musik spezialisiert, während Jörg Koch seinen Hintergrund eigentlich in der Soziologe, in Programmiersprachen und einem Plattenlabel für elektronische Musik hat.
Kysela und Koch interessieren sich für die Amalgamierung der ihnen zur Verfügung stehenden Klanglichkeiten, die Auflösung der zeitlichen Wahrnehmung, die Störung der Verortung akustischer Ereignisse und für Konzepte zur strukturellen Organisation. Ein zentrales Element der zeitgenössischen Musik, die Verfremdung des bekannten klingenden Materials, wird in der Arbeit der beiden regelmäßig übersteigert und diese Transformation in das Zentrum der Arbeit gerückt.
Stromlinie [66] live in Flac

link

"Tonbandstücke und Elektronisches" Werke von Bernfried Pröve, Roman Pfeifer, Karlheinz Essl, David Tudor und anderen
1970 arbeitete David Tudor erstmalig mit elektronischen Rückkoppelungen, und zwar in seinem Stück „Pepscillator“ für die Weltausstellung in Osaka in einem Pepsi-Pavillon. Tudor verwendete dafür Klangwandler, die Gordon Mumma entwickelt hatte und die über acht Kanäle in 37 Lautsprecher verteilt wurden.
David Tudor

Der amerikanische Pianist, Komponist und Pionier der elektronischen und experimentellen Musik David Tudor begann seine musikalische Laufbahn im Alter von sechzehn Jahren als Organist mit Musik von Bach und Buxtehude, und für die Orgel - jede Orgel ist anders und ein ganz individuelles Instrument - interessierte er sich sein ganzes Leben.
Seine Entdeckerfreude ist womöglich die Initialzündung zu seiner experimentellen Arbeit gewesen. Mitte der sechziger Jahre begann der Pianist David Tudor zu komponieren und als Performer aufzutreten. 1970 arbeitere er erstmalig mit elektronischen Rückkoppelungen, und zwar in seinem Stück "Pepscillator" für die Weltausstellung in Osaka in einem Pepsi-Pavillon.
Tudor verwendete dafür Klangwandler, die Gordon Mumma entwickelt hatte und die über acht Kanäle in 37 Lautsprecher verteilt wurden. Die Aufnahme aus dem Pepsi-Pavillon der Expo 1970 in Osaka ist am Schluss der Sendung zu hören.
Tonbandstücke und Elektronisches (!)

link