radiohörer - der blog für radiofans
Dienstag, 9. Juni 2015
"Fassbinders Bayern" Chronik einer schwierigen Beziehung
Von Markus Metz und Georg Seeßlen

1969 realisierte Rainer Werner Fassbinder im „antiteater“ ein Stück mit dem programmatischen Titel „Anarchie in Bayern“: eine politische Revue, die erklärte, warum es mit rein äußerlichen politischen Veränderungen nicht getan ist, sondern auch ein innerer moralisch-sexueller Wandel geschehen müsse. „Anarchie in Bayern“ ist so etwas wie die Blaupause vieler kommender Arbeiten des Autors und Regisseurs für Bühne und Film. Bayern, erkennt Fassbinder in diesem Stück, ist noch nicht reif für die Anarchie. Aber man muss halt irgendwo anfangen damit. Das Schlimmste, was einer Figur dieses Stücks passieren kann, ist, dass sie aus der beginnenden bayerischen Anarchie in die gewöhnliche Bundesrepublik Deutschland verbannt wird.
Ist das Fassbinders Konstruktion von „Heimat“? Gewiss hat Fassbinder die Hassliebe zu dieser Heimat weniger zum Zentrum seiner Arbeit gemacht als andere seiner Generation, Herbert Achternbusch etwa oder Franz Xaver Kroetz. Aber das Bayerische ist immer wieder präsent: München ist der einzig mögliche Hintergrund für seine frühen Filme; auch ein späteres Werk wie „Händler der vier Jahreszeiten“ schöpft aus dem genauen Lokalkolorit der bayerischen Landeshauptstadt. Fassbinder entwickelte auf der Bühne und im Film ein sehr spezielles „Kunstbayerisch“ als eine Sprache der emotionalen Verkrüppelung. Und er griff immer wieder Stoffe bayerischer Autoren auf, von Oskar Maria Graf über Marieluise Fleißer bis Franz Xaver Kroetz.
Und Bayern? Auch Bayern hat gezögert, Rainer Werner Fassbinder als einen Sohn des Landes anzuerkennen. Man tat sich nicht nur mit dem „enfant terrible“-Status schwer, sondern auch mit seinem Bayerischsein-oder der bewussten Verweigerung dessen-. Fassbinder und Bayern, das war eine schwierige Beziehung und ist es vielleicht zu einem Teil immer noch. Anlässlich seines 70. Geburtstags untersucht die Sendung diese schwierige und doch sehr fruchtbare Beziehung, von den Anfängen in der Münchner Theaterszene bis zum konfliktreichen Umgang mit seinem Erbe.
Fassbinders Bayern

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Klangbänder
Mit seiner Composition 1960 Nr. 7 gilt der amerikanische Komponist La Monte Young als Begründer der Drone Music, eine Variante der Minimal Music, die über lange Zeiträume auf stehenden Klängen verweilt.
Mit der Ablehnung musikalischer Konstruktionsprinzipien exploriert Drone die Qualitäten des Klangs an sich, sein Verhältnis zum Raum und seine psychoakustische Verarbeitung im Ohr des Hörers. Bis heute sprengen Komponisten mit zeitlich ausgedehnten Klangbändern die Dimensionen musikalischer Aufführung und spüren so den Ereignissen im vermeintlich Ereignislosen nach.
Klangbänder In Flac
La Monte Young: Composition 1960 Nr. 7 (1960), SEM-Ensemble, Leitung: Petr Kotík
Charlemagne Palestine: Strumming Music for Bösendorfer Piano (1974), Charlemagne Palestine – Klavier
Stefan Froleyks: One man – two bows (2002), Stefan Froleyks – Saitenwanne
Ellen Fullman: Woven processional (1985), Ellen Fullman – Long String Instrument
Simon Rummel: Harmonielehre (2011) für mechanisches Klangobjekt, Simon Rummel – Orgelmaschine
Siegfried Koepf: Ohne Titel (2002) für Orgel, Siegfried Koepf – Orgel
John Cage: ORGAN²/ASLSP Klanginstallation Halberstadt

Moderation: Hubert Steins

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"Rotkäppchen Breaking Bad" Wie aus Heinz-Otto Hermann ein Bankräuber wurde
Von Ben Hänchen

27 Banken hatte er ausgeraubt, bei der 28. wurde er geschnappt. Die Ermittler nannten ihn "Rotkäppchen", weil er eine rote Maske trug und immer höflich bei seinen Überfällen war. "Sie wissen von mir nicht viel, aber ich bin froh, dass es vorbei ist.", sagte er bei seiner Verhaftung.
Was trieb den ehemaligen Volksarmisten der DDR zu seinen Verbrechen? Wie gelang es ihm, jedes Mal zu Fuß zu fliehen, selbst wenn Polizeihubschrauber hinter ihm her waren? Wie konnte er seine Taten sogar vor seiner Frau verheimlichen? Und warum war ihm am Ende niemand richtig böse — nicht einmal die, die er überfallen hat?
Regie: der Autor
Produktion: SWR 2014
Rotkäppchen Breaking Bad

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Sonntag, 7. Juni 2015
"Eleni Mandell" Konzertmitschnitt vom 9. Mai 2009, Moments, Bremen
n den frühen Jahren ihrer Karriere entzog sich Eleni Mandell immer wieder einer Zuordnung. Mal hörte man eine Singer/Songwriterin mit Westcoast-Gefühl, mal dominierten Jazz oder Country – oder sie offenbarte eine Neigung zur Attitüde eines Tom Waits.
1998 war das Debüt-Album von Eleni Mandell erschienen. Als Mandell in Bremen Station machte, war die muntere Sprunghaftigkeit Vergangenheit. Da stand eine gereifte Sängerin und Performerin auf der Bühne, deren Songs und Arrangements eine klare, manchmal kühl-charmant getönte Linie hatten.
Eleni Mandell

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"Charles Mingus Ensemble" Konzertmitschnitt vom 16. April 1964, Sendesaal, Bremen
In der Jazz-Geschichtsschreibung ist man sich einig, dass das Sextett, mit dem Bassisten Charles Mingus im Frühjahr 1964 auf Europatournee war, gehörte zu den herausragenden Konzertformationen seiner Karriere.
Mit Eric Dolphy, Clifford Jordan, Johnny Coles, Jaki Byard und Dannie Richmond war die Gruppe hochkarätig besetzt. Die Akteure waren bestens vertraut mit der komplexen musikalischen Welt und dem berüchtigten Temperament des Leaders, der auch Jahrzehnte nach seinem Tode zu den weithin verehrten und einflußreichen Großmeistern des zeitgenössischen Jazz zählt.
Charles Mingus Ensemble

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"Die Vertonung der Welt"
Neues aus dem Grenzgebiet zwischen Rock, Jazz und Elektronik
Mit Harry Lachner

"Field Recordings" ist der Titel des neuen Albums der Bang On A Can All-Stars. Feldaufnahmen also. Ein Begriff, der zunächst in der Musik-Ethnologie gebräuchlich war, um die Musik fremder Völker zu dokumentieren. Mittlerweile hat es die Technologie vielen Musikern leicht gemacht, alle Arten tönender Fragmente und Geräusche, Musik- oder Sprachfetzen in ihre Stücke einzubauen. Dabei kann das Zitat reines Ornament bleiben. Oder wie im Falle der Bang On A Can All-Stars zum künstlerischen Antrieb einer Komposition werden. Dreizehn Komponisten - von Steve Reich bis zum Elektroniker Tyondai Braxton - wählten ein vorgefundenes Fragment, um das herum sie jeweils ein neues Stück kreierten. Diese Strategie, die Klänge der Welt in die Musik zu überführen, einen Song oder eine Komposition mit einer gewissen "Welthaltigkeit" aufzuladen, bzw. in einen bestimmten sozialen oder geographischen Kontext zu stellen, ist momentan mehr als nur geläufig. Man möchte fast schon von einer Mode sprechen, die zahlreiche Vorläufer aus allen Bereichen der Musik besitzt. Bang On A Can sind nicht die einzigen in dieser Nachtsession, die sich dieser Sehnsuchtstechnik im Sinne einer Welterfühlung bedienen. Der Pianist D. Bayne verwendet "Feldaufnahmen" zur Illustration einer mehr oder weniger imaginären (Klang)Reise - tönende Polaroids, verblassend, unscharf. Dieser offenen Welt der "Travelogues" gegenüber stehen schließlich jene kompakten, kleinen Weltentwürfe der Rocksongs - etwa aus den neuen Alben von The Fall, Faith No More oder Hugo Race. Es ist, als läge die wahre Welt aber zwischen diesen Polen konträrer Formen. Oder vielleicht doch jenseits davon?

Die Vertonung der Welt

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Radiotipps für den 8.6.2015
Hallo zusammen !

Hier die Tipps für den Montag.
Der dieses mal schwer Klassik lastig ist ....
Viel spass beim anhören !
8.6.2015

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Dienstag, 2. Juni 2015
"Gedächtnis einer klingenden Welt" Das US-Schallplattenlabel Folkways Records
Von Christoph Wagner
Das New Yorker Folkways Label genießt heute einen legendären Ruf. 1949 gegründet, war Folkways das Lebenswerk von Moses Asch, der sozusagen im Alleingang die Plattenfirma zu einem riesigen Klangarchiv der Menschheit machte. Beim Tod seines Gründers 1986 hatte das Label die sagenhafte Zahl von 2.168 Schallplattenveröffentlichungen erreicht und jeden nur erdenklichen Musikstil auf dem Globus abgedeckt.
Was Asch vorschwebte, war eine Enzyklopädie der klingenden Welt, weshalb sich das Spektrum seiner Einspielungen weit spannte: Er veröffentlichte Vorträge, politische Reden, Theaterstücke und Gedichtrezitationen, dazu Musik: von Blues und Gospel über Folk und Jazz bis zu klassischer Musik sowie Avantgarde- und Renaissance-Klängen. Dazu kamen skurrile Produktionen: Vom Quaken nordamerikanischer Frösche bis zum Vogelgezwitscher aus fünf Kontinenten. Aschs Neugierde kannte keine Grenzen. Drei Monate vor seinem Tod 1986 übergab Moses Asch Folkways an die amerikanische Nationalstiftung Smithsonian, die das Label seither betreibt.
Gedächtnis einer klingenden Welt

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Sonntag, 31. Mai 2015
"Sidsel Endresen & Stian Westerhus"
Aufnahme vom 12.12.14 aus dem Kulturhuset in Stockholm
Sidsel Endresen, Gesang
Stian Westerhus, Gitarre, Elektronik
Am Mikrofon: Michael Engelbrecht

Der radikalste Schritt im Künstlerleben von Sidsel Endresen erfolgte vor gut zehn Jahren, als sie die konventionelle Sprache als Bedeutungsträgerin weitgehend aus ihrem Repertoire ausschloss. Durch die Hintertür lässt sich die norwegische Sängerin allerdings zuweilen auf sinnhafte Strukturen ein, was ihren Improvisationen einen besonderen 'Thrill' verleiht. Ihre Zusammenarbeit mit dem Gitarristen Stian Westerhus ist besonders ertragreich, öffnet er doch auf seinem Instrument eine ähnlich weitreichende Palette an Sounds und Atmosphären. Auch wenn das Duo seine Erforschung des Unbekannten und Unvertrauten bereits auf zwei Alben dokumentierte, bleibt jeder Liveauftritt ein Experiment mit offenem Ausgang. Erstaunlich ist dabei, dass Endresen und Westerhus bei vielen Zuhörern tiefe emotionale Reaktionen auslösen - auch bei solchen, die wenig Interesse an abstrakten Spielarten der frei improvisierten Musik haben. Aber mit intellektuellen Abstraktionen hat diese beseelte Musik ohnehin wenig zu schaffen.
Sidsel Endresen & Stian Westerhus

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Mittwoch, 27. Mai 2015
"Schöner Scheitern" Wildes Denken lobt das Misslingen
"Der, der nie einen Fehler gemacht hat, macht auch nie eine Entdeckung", schrieb Samuel Beckett. Und Christoph Schlingensief setzte noch eins oben drauf mit seinem "Scheitern als Chance". Erfolg war für die Yuppies die einzige Währung. Aber stimmt das heute auch noch, jetzt, da sie von einem anderen Typus abgelöst worden sind? Die Nerds in den Chefsesseln vom Silicion Valley, die immer noch Sneakers und Hoodies tragen, erzählen ständig von ihrem Scheitern, kaum einer der kalifornischen Investmentbanker, der nicht wenigstens zwei start ups in den Sand gesetzt hat. Scheitern ist hier allerdings nur noch das Schwungholen vor dem nächsten großen Ding. Wildes Denken hingegen scheitert richtig, ganz und gar.
Schöner Scheiterny

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