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Mittwoch, 27. Mai 2015
"App-Schalten" Rückkehr zum analogen Leben (!!!)
Der Hype um Datenbrillen ist verpufft, Facebook verliert unter den jungen Nutzern spürbar Freunde und das gute alte Klapphandy gilt so manchem Großstadt-Hipster als Zeichen für Coolness und Non-Konformität. Ein durchweg digitaler Alltag ist für immer mehr Menschen eher Abschreckung als Zukunftsvision - auch die Diskussion um Datenschutz und Überwachung haben dazu beigetragen. Eine Avantgarde von Künstlern und Konsumenten kehrt im digitalen Zeitalter zurück zum analogen Leben: Haptische und schön gestaltete Bücher sind gefragt wie nie. Auch die knisternde Schallplatte erlebt einen unerwarteten Boom. Junge Musiker schwören auf den warmen Sound von analogen Aufnahmen, während Fotografen in ihren Dunkelkammern mit Negativen und Chemikalien experimentieren. Statt neue Freunde im Chat zu suchen, geht man offline gemeinsamen Hobbys nach. In unseren Innenstädten und den Printmedien macht sich eine Sehnsucht nach Idylle und ländliche Ästhetik breit. Am Pfingstmontag begibt sich Corso in einer Spezial-Ausgabe auf die Spur einer neuen "Off"-Kultur.
App-Schalten "Deutschland rockt" Musik von Mars Needs Women bis Shiny Gnomes
Mit Karl Bruckmaier
Klar, Grönemeyer, Tocotronic, Scorpions und Rammstein. Doch unterhalb dieser Säulenheiligen of Yesterdays Größe sprießt nach wie vor Widerständiges, Absurdes, Unerhörtes. Dass es zumindest Gehörtes wird, dafür sorgt dieser German Krach Nachtmix mit der Hamburger Damenkapelle "Mars needs Women", mit der Dad Horse Experience, mit Smokestack Lightning und den Shiny Gnomes, beide aus Nürnberg. Playlist Deutschland rockt "Let My Children Hear Music" Späte Aufnahmen von Charles Mingus
Nach einer mehrjährigen "Auszeit" von der Jazzszene feierte der Bassist und Komponist Charles Mingus 1970 sein Comeback. In den wenigen Jahren, die ihm noch blieben (er starb im Januar 1979), erfüllte er sich eine Reihe großer musikalischer Wünsche. Er stellte sich ein wunderbares neues Sextett zusammen - mit Eddie Preston, Charles McPherson, Bobby Jones, Jaki Byard - und später sogar ein experimentierfreudiges Quintett - mit Jack Walrath, George Adams, Don Pullen. Es gab spannende Allstar-Aufnahmen wie die Begegnung mit den jungen Gitarristen Philip Catherine, Larry Coryell und John Scofield. Vor allem aber setzte Mingus seinem größten Projekt die Krone auf: Das Album "Let My Children Hear Music" (1971) war zu Mingus' Lebzeiten die gelungenste Umsetzung seiner großformatigen Third-Stream-Ambitionen.
Let My Children Hear Music In Flac Charles Mingus: Remember Rockefeller At Attica/CD: Changes One Charles Mingus Charles Mingus: Free Cell Block F. 'Tis Nazi USA/CD: Changes Two Charles Mingus Charles Mingus: Hobo Ho/CD: Let My Children Hear Music Charles Mingus Charles Mingus: For Harry Carney/CD: Changes Two Charles Mingus Charles Mingus: Goodbye Pork Pie Hat/CD: Three Or Four Shades Of Blues Charles Mingus Charles Mingus: Farewell Farwell/CD: Something Like A Bird Charles Mingus Charles Mingus: Pithecanthropus Erectus/CD: In Paris Charles Mingus "Biologische Vielfalt" Songs über Tiere
Mit Sabine Gietzelt
Zum Tag der biologischen Vielfalt gibt es im Nachtmix die entsprechende Musik. Es röhrt und zwitschert, Tiere stehen im Regen, Mäuse knabbern in der Kirche, Bienen sind am Fenster und Möven sprechen, sie befehlen: Küss sie! Küss sie. So geschehen bei XTC im Jahre 1984, Andreas Dorau lässt seit jeher Tiere in Songs auftreten und Chaplin, die passenderweise inzwischen in Berlin wohnen, begegnen einem Bären auf der Straße. Immerhin weiß Bonnie Prince Billie, wo die Maulwürfe hin gehören: Auf's Feld! Playlist Biologische Vielfalt Dienstag, 26. Mai 2015
"Stilistische Mixturen" Musik von Die Wilde Jagd bis Helena Hauff
Mit Michael Miesbach
Im Blickfeld: Stilistische Mixturen, so wie sie als grundsätzliches Phänomen die Gegenwart der Popmusik prägen, eine Gegenwart, die seit Jahren ohne nennenswerte Trends auskommt. Zu hören gibt es u.a. das Düsseldorfer Duo Die Wilde Jagd, das sich zwischen den Krautrock- und Postpunk-Errungenschaften seiner Stadt bewegt, den mexikanischen Elektronik-Produzenten AAAA, den Isländer Ozy und seine Dub-Bass-Techno-Variationen oder den Japaner Satoshi Tomiie, der die Deep House-Tradition der frühen 90er Jahre neu belebt. Dazu die Hamburger Produzentin Helena Hauff, die den düstersten Momenten zwischen Acid und Techno ein Denkmal setzt, oder auch das eigenwillige neue Album von Blanck Mass, Solo-Projekt der F**k Buttons-Hälfte Benjamin John Power. Playlist Stilistische Mixturen "Bukka White" Konzertmitschnitt vom 11. März 1975, Postaula, Bremen
Bukka White zählt zu den großen Helden der Countryblues-Tradition. Der Mann aus Mississippi hatte schon als kleiner Junge angefangen Musik zu machen und war in den dreißiger Jahren Profimusiker geworden. Wir senden einen Ausschnitt aus seinem Auftritt im März 1975 in der Postaula in Bremen.
Während seiner Zeit als Profimusiker entstanden klassische Aufnahmen. Sein berühmter "Parchman Farm Blues" entstand während einer mehrjährigen Haftzeit in eben jenem berüchtigten Gefängnis. White erfuhr im Zuge des Folkblues-Revivals der sechziger Jahre späte Anerkennung. In Bremen trat er im Rahmen der Konzertreihe "Sparkasse in concert" auf. Auszüge des Mitschnittes wurden damals auf LP veröffentlicht. Zwei Jahre nach seinem Auftritt in Bremen, im Februar 1977, verstarb White an Krebs. Bukka White Donnerstag, 21. Mai 2015
"Schnitte" Von Rolf Dieter Brinkmann (!!!)
Bearbeitung und Regie: Ulrich Gerhardt
Komposition: Klaus Buhlert Mit: Christian Brückner Produktion: BR 1995 'Schnitte' ist das letzte, in Rom beendete Tagebuch Brinkmanns. Es erschien postum im Rowohlt Verlag als Faksimile. "Was er wahrnimmt, ist schrecklich. Versehrung, Schmutz, Fäulnis, Geilheit. Brinkmann will sich die Welt aneignen, etwas aus ihr und im Kontakt mit ihr entstehen lassen, aber er sieht nur Brüchigkeit und Verwüstung. Seine Vereinzelung ist unüberbrückbar." (Joachim Sartorius). Ulrich Gerhardt entwickelte aus den nachgelassenen Tagebuchmontagen ein Radiostück, das in seiner akustischen Umsetzung die Sichtweise und die literarische Methode Brinkmanns veranschaulicht. Schnitte Rolf-Dieter Brinkmann, geboren 1940, schrieb Prosa und Gedichte. 1975 in London tödlich verunglückt. "Die letzten Worte von Dutch Schultz" Von William S. Burroughs (!!!!!)
New York, 1935: Gangsterkönig Dutch Schultz liegt von Kugeln durchsiebt im Sterben. Ein Polizei-Stenograph notiert seine letzten 1200 Wörter. William S. Burroughs macht 1970 ein Drehbuch aus diesem Dokument, Cut-up und Assoziationen inklusive.
Aus der Beschreibung der letzten 20 Stunden vor dem Tod wird ein nie realisierter Film über den Aufstieg und Fall des Königs der Bronx. 2013 erwacht das Skript als Hörspiel zum Leben, denn der Text hat immer noch Aktualität: Das Leben des "Dutchman“ ist ein Prototyp weltweiter Verbrecher-Biografien. Nur im Gegensatz zu den heutigen Oligarchen, Tycoons und Mafiabossen kannte Dutch Schultz noch keine globalisierte Welt. Für ihn war New York City das Zentrum der Macht, an dem er um jeden Preis festhielt. Einer der Gründe für seinen Untergang. Die letzten Worte von Dutch Schultz Produktion: WDR 2013 Bearbeitung/Komposition/Regie: wittmann/zeitblom Redaktion: Natalie Szallies "Der heimliche Trumpet King des Bebop" Fats Navarro
Von Odilo Clausnitzer
Theodore "Fats" Navarro wurde 1923 in Florida geboren. Nach Engagements unter anderem bei dem Swing-Bandleader Andy Kirk kam er 1944 nach New York, um mit Billy Eckstine zu arbeiten. Es blieb ihm nur wenig Zeit seine Kunst zu entwickeln, denn Drogenabhängigkeit und Tuberkulose machten seinem Leben schon mit 26 Jahren ein Ende. Aufnahmen unter seinem eigenen Namen gibt es nur wenige, allerdings umso bemerkenswertere. Als Mitglied in den Bands des Pianisten Tadd Dameron erhielt er viel solistischen Freiraum. Radiomitschnitte aus seiner letzten Lebensphase zeigen ihn als Mitglied im Charlie Parker Quintett. Nach seinem Tod verblasste Navarros bescheidener Ruhm schell; sein Name blieb nur noch Kennern geläufig. Auch vielen heutigen Hörern bietet seine Musik die Gelegenheit für aufregende Neuentdeckungen. SWR Jazztime stellt einige seiner besten Aufnahmen vor. Playlist Der heimliche Trumpet King des Bebop "Der Rausch im Niemandsland" Fritz Rudolf Fries zum Gedenken (!!!)
Von Helmut Böttiger
Fritz Rudolf Fries war kein DDR-Schriftsteller. Am 19. Mai 1935 in Bilbao geboren, mit einer spanischsprachigen Großmutter aufgewachsen und als Sechsjähriger in den Kriegswirren nach Leipzig gezogen, blieb der spanische Hintergrund für ihn immer bedeutsam. 1966 erschien, durch die Vermittlung von Uwe Johnson, im westdeutschen Suhrkamp Verlag sein bahnbrechender Roman „Der Weg nach Oobliadooh". In der DDR war an eine Veröffentlichung nicht zu denken: zu ambitioniert, zu subjektiv, zu anarchisch war dieses Buch, und zudem feierte es alle möglichen Spielformen des Jazz, den die Funktionäre wohl zu Recht für potenziell systemsprengend hielten. Der Autor hatte Proust und Joyce gelesen, war auf der Höhe der bürgerlichen und nachbürgerlichen Moderne und wirkte nicht nur in der DDR wie ein Fremdkörper, sondern auch in der zeitgenössischen bundesdeutschen Literatur. Die Entwicklung, die Fritz Rudolf Fries im folgenden in der DDR nahm, ist eines der spannendsten Kapitel der jüngeren deutschen Literaturgeschichte: ein homme de lettre, einer, der auf der Klaviatur vieler Sprachen und Literaturen spielen konnte und allen Vorstellungen von Parteilichkeit und Realismus eine lange Nase drehte. Das traf gerade auch für die Bücher zu, die dann in der DDR gedruckt wurden, „Alexanders neue Welten" oder „Verlegung eines mittleren Reiches". Dass Fries' literarischer Freiraum in der DDR für ihn nur durch die Kooperation mit der Staatssicherheit möglich schien, war in den neunziger Jahren dann eine schmerzliche Erkenntnis. Jazz, Literatur, Politik: von einem magischen Dreieck handelt das Feature über diesen großen Autor, der im vergangenen Jahr gestorben ist und am 19. Mai 80 Jahre alt geworden wäre. Der Rausch im Niemandsland ... Ältere Stories
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